Don Camillo und seine Herde
die Kirche führte. Nach zehn Metern gelang es ihm gerade noch rechtzeitig zu bremsen, um nicht Don Camillo zu überfahren, der vor dem Tor des Pfarrhofes saß und seine Zigarre rauchte.
Früher einmal bog dieser Seitenweg beim Pfarrhof nach rechts ab und führte in seiner Verlängerung zur Straße auf den Damm. Seit einiger Zeit war aber der Durchgang gesperrt.
Als Don Camillo dieses Teufelszeug so plötzlich vor sich auftauchen sah, riß er den Mund vor Staunen auf. Dann erhob er sich mit der festen Absicht, den Indianer an den Hüften zu packen und gegen die Wand zu schleudern. Es war aber zu spät; als die Rothaut die offene Tür sah, ließ sie das Motorrad zu Boden fallen und lief in das Pfarrhaus.
Gerade in diesem Augenblick erschien Peppone und richtete seine Schritte auf das Tor des Pfarrhofes, ohne sich im geringsten um Don Camillo zu kümmern. Sein Schwung brach sich aber an dem mächtigen Brustkorb Don Camillos.
«Was ist los?» rief Don Camillo. «Zuerst fällt mir eine Rothaut mit dem Motorrad in den Rücken, und jetzt kommt mir ein Bürgermeister zwischen die Beine. Was ist los? Eine allegorische Maskerade?»
«Hochwürden», keuchte Peppone, «lassen Sie mich hinein. Ich muß mit Dario Camoni abrechnen!»
«Camoni? Was hat er damit zu tun?»
«Er ist die Rothaut!» zischte Peppone durch die zusammengepreßten Zähne.
Don Camillo stieß Peppone mit einem Ruck von sich, ging hinein und verriegelte das Tor.
Die Rothaut wartete auf ihn in der Pfarrkanzlei. Don Camillo trat an sie heran und nahm die Nase aus Papiermache ab.
«Jawohl, ich bin es!» rief die Rothaut und stand auf. «Ich. Und wenn schon?»
Don Camillo setzte sich an seinen Schreibtisch und zündete die ausgegangene Zigarre wieder an.
«Nichts weiter», erklärte er ruhig, nachdem er zwei- bis dreimal an der Zigarre gezogen hatte. «Es wäre aber viel besser, wenn du nicht Dario Camoni, sondern eine wirkliche Rothaut wärst.»
Im Jahr 1922 war Dario Camoni siebzehn Jahre alt und hatte ein genaues Programm: Er hatte mit den Roten abzurechnen, die im Winter 1919, als Dario Camoni vierzehn Jahre alt war, vor seinen Augen seinen Vater verprügelt hatten.
Dario Camoni war stark, vor allem aber war er ein unbeherrschter Mensch. Wenn er einmal den vierten Gang eingeschaltet hatte, sprachen seine Augen deutlicher als die überzeugendsten Redner.
Peppone war um wenigejahre älter und um eine Spanne größer als Dario, konnte aber diesen Blick nicht aushalten, und um ihm auszuweichen, suchte er stets das Weite.
Eines Abends plauderte Peppone mit seinem Mädchen auf dem Brücklein vor dessen Haus, als Dario Camoni mit dem Fahrrad dahergefahren kam.
«Ich bitte um Verzeihung wegen der Störung», sagte Dario, stieg vom Fahrrad ab und trat näher. «Ich habe einen Auftrag.» Dann zog er aus der Tasche ein großes Glas und ein Fläschchen, stellte das Glas auf den Brückenrand und schenkte den Inhalt des Fläschchens ein.
«Der Arzt hat mich beauftragt, dir zu sagen, daß du ein Abführmittel gegen deine Verstopfung einnehmen mußt», erklärte Dario Camoni, trat einen Schritt zurück und steckte die Hand in die rechte Rocktasche.
Ein so großes Glas voll Rizinusöl war etwas Furchtbares, und Dario Camoni hatte weiter ausgeführt:
«Trink, weil ich in der Tasche eine Pistole habe, die neben dem Fläschchen war und sehr gut geölt ist, und ich nicht möchte, daß zufällig ein Schuß herausrutscht. Wenn die Dosis für dich zu stark ist, macht es nichts; was du nicht austrinken kannst, wird deine Schöne bestimmt für dich trinken. Ich zähle bis drei.
Eins... zwei...»
Peppone griff nach dem Glas und soff das Öl bis zum letzten Tropfen aus.
«Gut so», sagte dann Dario und bestieg sein Fahrrad. «Schau, daß du niemanden mehr verprügelst, weil du das nächste Mal nicht so billig davonkommst.»
Peppone gelang es, das Rizinusöl hinunterzuschlucken, es gelang ihm aber nie, diesen bösen Streich hinunterzuschlucken. Es war außerdem eine unerhörte Gemeinheit, weil ihn Dario gezwungen hatte, das Öl vor den Augen seines Mädchens auszutrinken. Peppone heiratete später das Mädchen, die Dinge wurden aber dadurch nicht besser, sondern eher schlechter. Jedesmal nämlich, wenn Peppone sich vor seiner Frau groß aufspielen wollte, sagte diese:
«Wenn nur der Kerl da wäre, der dich damals von deiner Verstopfung befreit hat, du würdest jetzt nicht so groß tun!»
Peppone konnte diese Gemeinheit nicht hinunterschlucken, Don Camillo
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