Don Fernando erbt Amerika
Alternativen verkehrten gerne in dem Café, weil sie mit ihren Kindern zum Sonntagsfrühstück kommen konnten und sich außerdem den Intellektuellen weit überlegen fühlten, wenn sie keinen Schnaps tranken und keine Wiener Würstchen aßen, sondern Orangensaft und Müsli zu sich nahmen. Beide Arten von Gästen wurden von den Bedienungen mit grimmig schweigender Verachtung gestraft,weil die Bedienungen sich ihnen weit überlegen fühlten. Denn das Personal bestand aus Studenten in höheren Semestern, die sich hier zähneknirschend ihren Unterhalt in dem Bewusstsein verdienten, dass sie selbst zu Höherem berufen waren – was leider noch niemand erkannt hatte, weshalb sie kein Stipendium bekamen. Für sie war das Kellnern nur eine Durchgangsstation wie ein schmutziger Bahnhof, und die Gäste waren die Reisenden, denen man nie wieder begegnet.
Für die Sonntagsschicht allerdings dauerte der Aufenthalt nun schon sieben Jahre, weil die vier Bedienungen alle schon in ihrem zweiten Studiengang und dementsprechend frustriert waren. Früher einmal waren sie weltoffene, liberale junge Menschen gewesen, die an das Gute geglaubt hatten und daran, dass alle Menschen gleich seien. Das Leben an der Universität und das Arbeiten in der Kneipe für die Universität hatte sie über die Jahre hin vom Gegenteil überzeugt. Unmerklich waren sie politisch vom linken, lebensfrohen Rot nach rechts zum tiefsten Schwarz hinübergewandert und schielten nun begierig nach einem befriedigenden Braun. Für sie waren die Gäste nicht wie für ihre Kollegen einfach nur lästiges Getier, das man irgendwie abfüttern musste, nein, diese vier Menschen hassten Gäste aus tiefster Seele. Sie hassten überhaupt alle Menschen, aber Gäste besonders. Und innerhalb der Gästeschaft stuften sie ihren Hass noch einmal fein ab – bis in Niederungen, die niemand mehr schildern möchte. Die vier hatten vor kurzem beschlossen, ihren Hass endlich zu kanalisieren und in die – im wahrsten Sinne des Wortes – rechten Bahnen zu lenken, und so vor zwei Wochen die Humanfaschistische Liga gegründet. Das Programm der Humanfaschistischen Liga las sich so:
Der Gast ist ein Tier! Ein widerliches Tier! Eine Gattung, die Gott nach seinem ersten Schöpfungsversuch vergaß auszulöschen. Die Humanfaschistische Liga hatte beschlossen, Gott ein wenig unter die Arme zu greifen.
Zu der Zeit, als Esteban, José und die anderen Spanier den Gastraum betraten, war die Situation bereits im Begriff zu eskalieren.Denn kurz vorher war ein Trupp alternativer Mütter samt ihren Bälgern in der Kneipe eingefallen und belagerte nun das Frühstücksbüfett. Ganz im Gegensatz zur landläufigen Meinung sind Muttertiere der alternativen Art keineswegs unfähig, sich einen Platz an der Futterkrippe zu erkämpfen. Die Intellektuellen, die sich zu ihrem Espresso das ein oder andere Hörnchen holen wollten, traten schnell den Rückzug an gegen den Ansturm schurwollener Strümpfe und Gesundheitssandalen. Schlecht erzogene Kinder in schmutzigen, schurwollenen Pullovern kreischten und bissen in anzugbewehrte Beine. Wenn aber der ein oder andere Journalist zaghaft versuchte, sie abzuschütteln, erhielt er sofort einen gnadenlosen Rippenstoß von einer grimmig starrenden Frau, deren hennarotes Haar ungekämmt unter einer (schurwollenen) Rastamütze hervorsah. Dann schleppte er sich keuchend zurück zu seinem Grappa. Die Frauen schnappten sich die gigantische Müslischüssel vom Büfett und transportierten die Beute zu ihrem Tisch, auf dem gerade ein Baby mit einer schurwollenen Windel gewickelt wurde. Der Lärm war unbeschreiblich. Der Geruch auch. Das Ganze fand jeden Sonntag im Café Eiland statt und lief unter der Bezeichnung: Wochentreff des Verbandes lediger Eigenurintrinkerinnen .
Man versteht nun, warum sich die Humanfaschistische Liga gebildet hatte.
Bedauerlich war nur, dass sich die verständlichen Aggressionen der Bedienungen gegen die unschuldigen Spanier richteten.
»Kann ich noch einen Espresso haben?«, rief Esteban einem der Kellner nach, der gerade mit einem schweren Tablett voller schmutzigem Geschirr über diverse Kinder stieg und vorgab, taub zu sein.
»Kann ich noch einen Espresso haben?«, rief Esteban fünf Minuten später wieder, als der Kellner blicklos an seinem Tisch vorbei zu den Eigenurintrinkerinnen eilte und vorgab, taub zu sein.
»Kann ich noch einen Espresso haben?«, rief Esteban ein drittes Mal, nun schon etwas lauter. Der Kellner sah sich gehetzt nach dem
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