Don Fernando erbt Amerika
Daraufhin stürzten sich die Eigenurintrinkerinnen gesammelt auf ihn, obwohl er noch auf dem Kind lag, und alle anderen Spanier mussten ihm zu Hilfe eilen. Die Kellner hatten sich der Sahnesiphons bemächtigt und sprühten ranzige Sahne in Richtung Angreifer. Esteban fuchtelte halb blind mit seinem Degen herum, woraufhin das Regal mit den Schnapsflaschen auf die Kellner kippte. Einer der mutigeren Intellektuellen kroch aus seinem Versteck, sicherte sich eine der heil gebliebenen Grappaflaschen und leistete dann wieder den Rollmöpsen Gesellschaft. »Rettet den Wein!«, schrie José, der sich freigekämpft hatte. Carlos stürzte folgsam in die Küche, erfasste mit professionellem Blick die Lage, übergab sich und kam wieder zurück.
»Keinen Wein aus dieser Kneipe!«, brüllte er entschlossen und wich einem herabsausenden Stuhlbein aus. Dann überlegte er kurz, entschied sich gegen die Annahme, dass dieses kreischende Wesen vor ihm eine Frau sei, und trat es vors Schienbein. Ein befriedigendes Knacken deutete zumindest auf einen einfachen Bruch hin. »Ein Verband aus Kampferblättern und Schurwolle«, riet er der am Boden Liegenden hilfreich und klemmte sich hinter Esteban, der sich eifrig fechtend allmählich zurückzog. José zündete sich ein Zigarillo an, zog daran und warf es schließlich in die riesige Schnapspfütze, die mit einem sanften Knall explodierte. Noch immer zischte das Bier aus vierHähnen an die Decke. Nein, aus dreien. An den einen hatte sich José gehängt, der nichts verkommen lassen wollte. Von draußen konnte man Polizeisirenen hören.
»Weg hier!«, drängte Esteban. »Schnell weg!«
Sie rannten zum Ausgang.
»Hey, Afghane«, schrie eine wuterstickte Stimme aus dem Joghurt. »Du hast deinen Espresso noch nicht bezahlt!«
Esteban stockte, überlegte kurz und hieb dann mit einer eleganten Drehung den Stützpfeiler des Gebäudes schräg von oben nach unten durch. Man konnte den Schnitt nicht sehen, aber ganz allmählich verschoben sich die Flächen gegeneinander, als der Pfeiler unter dem Gewicht nachgab. Esteban und die anderen sprinteten nach draußen und konnten nur noch befriedigt miterleben, wie es innen gewaltig krachte und eine Staubwolke durch die schief hängende Tür entwich. »Na ja«, sagte José, »ich hatte sowieso keinen Hunger mehr.« Und dann kippte er sanft um, denn er war zu lange am Bier gewesen.
Die Humanfaschistische Liga sowie das Café Eiland gehörten der Geschichte an.
Nicht überall ging es so heiter und unbeschwert zu, obwohl man sich die größte Mühe gab.
Don Fernando war mit Kathrin in ihrer Wohnung, denn auch sie waren zu dem Schluss gekommen, dass es dort am sichersten sei. Zuvor allerdings waren sie noch einmal in Fernandos Wohnung gewesen, denn er war allmählich knapp bei Kasse, seit er nicht mehr als Müllmann bei der Stadt arbeitete. Also hatte er eine Kiste mit den wertvollsten Büchern zusammengepackt, die er besaß. Diese Schätze lagen nun ausgebreitet auf Kathrins Wohnzimmerteppich. Kathrin war fast in Ehrfurcht erstarrt, als Fernando die Kiste einfach umgekippt hatte. Wunderschöne Bücher waren da herausgefallen: eine Erstausgabe der Gutenberg-Bibel, ein Original der Schedelschen Weltchronik, einige von Luthers Handschriften und die komplette Erstausgabe vonAsterix. Fernando griff mit beiden Händen ein wunderbar in Gold gebundenes Buch heraus und sagte: »Das hier! Das kann ich sowieso nicht lesen.«
Kathrin kam interessiert näher und nahm das Buch in die Hand. Es entfiel ihr sofort, so schwer war es. Sie nahm es wieder an sich und schlug es auf. Die Seiten waren aus sehr dünn ausgewalztem Goldblech und mit feinen Schriftzeichen bedeckt, die sie nicht kannte.
»Wo hast du das her?«, fragte sie.
Fernando zuckte die Schultern.
»Weiß ich nicht mehr ganz genau. Ich glaube, ich habe es in Sevilla gekauft, irgendwann im 16. Jahrhundert. Von Hernando, schätze ich mal.« »Fernando?«, fragte Kathrin, die ihn nicht verstanden hatte.
»Nein«, sagte Fernando, »Hernando. Hernando Cortés. Du weißt schon, der Mexiko erobert hat. Aber es ist ihm so gegangen wie mir: Man hat ihn vergessen und er ist arm gestorben.«
»Du bist aber nicht arm gestorben«, sagte Kathrin.
»Nee«, sagte Fernando, »aber vergessen bin ich wohl.«
»Na ja«, sagte Kathrin, der eben etwas anderes eingefallen war.
»Sag mal, Fernando«, fing sie zögernd an, »hast du eigentlich … äh … ich meine, du bist doch schon ziemlich lang am Leben, hast du da
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