Don Fernando erbt Amerika
still.
Beängstigend still.
Die USS Kill hüllte sich in Schweigen, das nur ab und zu durch ein rhythmisches Dröhnen unterbrochen wurde, das sich anhörte, als schlüge jemand mit Riesenfäusten auf Metall ein. Und genau das war es auch, was Leif gerade tat. Leif wollte herausgelassen werden. Er und die Azteken befanden sich noch immer auf der gut verschlossenen Krankenstation des Schiffes; aber offensichtlich waren sie auch die einzigen, die noch an Bord waren. Leif hatte aus verschiedenen Indizien darauf geschlossen, dass sie in einem Hafen angelangt waren. Erstens hatte Quetzal schon am Tag zuvor aufgehört, sich zu übergeben, und zweitens hatte Leif als ehemaliger Seemann und gebürtiger Norweger die typischen Geräusche und Gerüche erkannt, die in jedem Hafen der Welt gleich sind. Deshalb war er Amerikaner geworden. Diese Geräusche und Gerüche waren meist schwer zu ertragen. Er hörte auf, an die Tür zu hämmern und wandte sich seinen Freunden zu. Mürrisch fragte er:
»Sagt mal, wollt ihr nicht raus? Ihr könntet mir ein bisschen helfen!«
»Ach«, sagte Huitzilipochtli gedehnt, während er angelegentlich seine Fingernägel betrachtete, »ich bin daran gewöhnt, eingesperrt zu sein. Mir gefällt es ganz gut hier.«
Er hatte das Fahrrad für das Belastungs-EKG entdeckt und erzielte schon seit Tagen Werte, die jeden Sportmediziner blass vor Neid hätten werden lassen. Seine abnorm muskulösen Unterschenkel tatenganze Arbeit und er hatte Quetzal sogar darum gebeten, eine provisorische Leitung zur Glühbirne zu verlegen – aus sentimentalen Gründen, wie er sagte. Titlichtlo lag auf einer der Liegen und schnarchte. Er war schon wieder am medizinischen Alkohol gewesen. Quetzal bastelte mit einigen Reagenzgläsern, dem Röntgenschirm und dem medizinischen Computer schon seit gestern an einer seltsamen Apparatur. Gerade hatte er eine Pinzette auseinandergenommen und umwickelte einen der Schenkel mit dem Kupferdraht, den er aus einem überflüssigen Lichtkabel isoliert hatte. Er sagte:
»Ach Leif, du hast uns doch erst hierher gebracht. Du und deine Wale!«
Leif machte ein schuldbewusstes Gesicht: »Ja, aber manchmal haben die Marines doch Delfine dabei. Delfine sind Wale, oder nicht?«
»Du hast aber nicht nach Delfinen gefragt«, sagte Quetzal immer noch etwas ärgerlich. »Du bist zur Brücke gestürmt, hast den Kapitän runtergezerrt und ihn angebrüllt, wo er seine Pottwale versteckt hat. Und als er brav geantwortet hat, hast du ihn mit dem Kopf in sein Radar gesteckt.«
»Mein Gott«, sagte Leif entschuldigend. »Wenn er einfach gesagt hätte, dass er keine hat, wäre alles gut gewesen. Aber er wollte mir ja nicht mal ein mickriges Kaviarbrötchen überlassen!«
»Egal«, sagte Quetzal müde. Er hatte Kopfschmerzen, und es war auch mit einem nüchternen Leif nicht einfach zu diskutieren. »Ich will hier genauso wenig bleiben wie du. Ich war lange genug eingesperrt! Aber ich warte jetzt einfach, bis sie uns rauslassen.«
»Was baust du da eigentlich?«, fragte Leif halb interessiert.
Quetzal zuckte die Achseln: »Keine Ahnung. Meistens weiß ich erst, wenn ich einschalte, wozu es gut ist. So hab ich’s immer gemacht.« Er musste grinsen.
»Einmal wäre es beinahe schiefgegangen. Ich hab gedacht, ich hätte eine Art Stift entwickelt, und hab mir das Teil erst einmal in die Brusttasche gesteckt, bis es sich von selbst anschaltete und ich merkte,dass es ein Stabmixer war.« Er klopfte stolz auf seine Brust: »Willst du die Narben sehen?«
Leif winkte ab. Quetzal fragte ihn neugierig: »Warum wolltest du eigentlich nach Europa?«
Leif zuckte auch mit den Achseln: »Keine Ahnung. Mir geht’s wie dir. Wenn ich’s gefunden hab, weiß ich, was es ist. Aber ich glaube, es hat mit Musik zu tun.« Er wurde plötzlich wieder sauer und drosch auf die Tür ein und brüllte: »Aber ich kann es erst finden, wenn ich hier draußen bin.«
»Eile mit Weile«, mahnte Hutzi von seinem Fahrrad herunter. »Hier gibt’s doch alles, was der Mensch braucht: Fahrräder, Alkohol und Ruhe.«
»Klar, Hutzi«, sagte Leif verzweifelt. »Lass gut sein.«
Er setzte sich auf den Boden und begann nachzudenken, was er eigentlich in Europa wollte. Diese ganze Fahrt, wozu war sie eigentlich gut? War das so eine Art »Zurück zu den Wurzeln«-Reise? »Sentimental Journey«, oder wie? Der größte Rocksänger aller Zeiten auf dem Weg in die Alte Welt, um sich neue Inspirationen zu holen? Er seufzte, stand auf und hämmerte
Weitere Kostenlose Bücher