Don Fernando erbt Amerika
Auto. Man hatte ihn unter Missachtung eines kosmischen Gesetzes gezwungen, weiterzulaufen. Er hatte nicht zum richtigen Zeitpunkt zusammenbrechen dürfen. Der Wagen verabscheute Bébé und Christoph aus tiefster metallener Seele und wünschte nur eines: Rache. Er strahlte den Gedanken aus; seine letzte Kraft legte er in dieses rot pulsierende Wort: Rache. Und die Autos der Welt hörten ihn.
»Alles aussteigen!«, sagte Bébé stolz. »Wir fahren mit der U-Bahn weiter.«
Der zerstörte Fahrkartenautomat gab ein klingelndes Geräusch von sich und begann, Kleingeld zu spucken.
»Wohin?«, fragte Gilead.
»Zu Kathrin!«, sagte Christoph. »Wir müssen sie warnen.«
Bébé lachte hohl.
»Das haben die Bullen sicher schon getan«, sagte er müde, »aber meinetwegen. Probieren kann man alles.«
In Don Fernando waren auch nach fünfhundert Jahren, von denen er zwanzig als Müllmann bei der städtischen Müllabfuhr gearbeitet hatte, die ritterlichen Instinkte noch nicht erstorben. Deshalb hätte er sich wahrscheinlich in dem Augenblick schützend auf Kathrin geworfen, als ein Teil der Schlafzimmerdecke zusammen mit einem grimmig aussehenden FBI-Agenten herunterbrach. Er tat es nur deshalb nicht, weil sich Kathrin vor einigen Minuten bereits auf ihn geworfen hatte und er deshalb nicht in der Lage war, sich irgendwohin zu werfen, ohne böse Schäden körperlicher und geistiger Art zu provozieren.
Andererseits war die Lage nicht hoffnungslos, so wie sie war. FBI-Agenten sind dafür bekannt, dass sie in nahezu jeder Situation kühl und überlegt reagieren. Johnson hätte sich durch zehn schwer bewaffnete Männer nicht davon abbringen lassen, die beiden gefangen zu nehmen oder wenigstens umzulegen. Er hätte auch angemessen reagiert, wenn er zufällig in ein Terrarium voller Baumvipern gefallen wäre oder wenn ihm plötzlich Dieter Bohlen gegenübergestanden wäre. All das hätte Johnson nicht an der Ausübung seines Berufes gehindert. Aber Johnson war nicht nur FBI-Agent, er war auch Amerikaner und demzufolge so prüde, wie es selbst eine 96-jährige europäische Nonne nie werden wird, egal, wie sehr sie sich anstrengt. Als Johnson Kathrin und Fernando im Bett erblickte, schloss er also für einen Moment die Augen und ließ seinen tragbaren Minenwerfer sinken. Verwirrung und Schamröte zeichneten sein Gesicht. In diesem Augenblick fühlte er sich in sein neuntes Lebensjahr zurückversetzt, als ihn seine Mami vor dem Spiegel in einem ihrer BHs erwischt hatte. Johnson war ein harter Mann. Waffen und Stiefel, schweißgetränkte, Wochen alte Socken, der Verzicht auf Eiscremesoda und andere Entbehrungen waren sein Leben. Aber mit Sex dieser Art kam er nicht klar. Nackte Frauen passten nicht in sein Weltbild. Schon gar keine nackten Frauen, die in abnormen, perversen, gotteslästerlichen Positionen mit nackten Männern in einem Bett lagen. Diese Frau lag oben ! In seinem Heimatstaat wurde man für so etwas gehängt. Johnson hielt die Augen fest geschlossen. Er wollte nichts von diesem Schmutz sehen.
Das rettete Fernando und Kathrin das Leben. Denn als Johnson mit immer noch geschlossenen Augen ein »Sorry, Ma’am« murmelte, schlug Kathrin ihn mit einem Buch nieder und zerrte Fernando, der noch immer sein Leben vorbeiziehen sah, aus dem Schlafzimmer. Ohne sich der Mühe zu unterwerfen, in irgendwelche Kleider zu schlüpfen, raste sie, Fernando hinter sich herziehend, aus der Wohnung und die Treppe hinunter. Als sie aus der Tür brachen, liefen sie Bébé, Christoph und Gilead direkt in die Arme.
»Du hast recht gehabt, Bébé«, sagte Gilead gelassen, als er Kathrin auffing. »Sieht tatsächlich so aus, als hätten die Bullen die beiden schon gewarnt.«
Christophs Gesichtsausdruck war weit weniger gelassen, als er sich Fernando zuwandte und streng fragte: »Wieso seid ihr beide nackt?«
»Weißt du, Christoph«, antwortete Fernando, der sich Bébés Mütze geliehen hatte und nun versuchte, seine Blöße zu verdecken, »dass du gerade genau den gleichen Tonfall hattest wie der spanische Großinquisitor, als er mich vor dreihundert Jahren fragte: ›Wieso lebt Ihr noch, Don Fernando?‹«
Er machte eine kurze Pause und brüllte dann: »Weil es eben so ist, du Blödmann!«
»Was geht dich das überhaupt an, Christoph?«, mischte sich Kathrin mit spitzer Stimme ein und hielt sich dabei Fernandos Buch abwechselnd vor den Schoß und den Busen, als könne sie sich nicht entscheiden, welcher Anblick der gefährlichere
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