Don Juan 01 - Die Lehren des Don Juan. Ein Yaqui-Weg des Wissens
Gewaltiges atmete und bewegte sich neben mir. Ich glaubte, es war hinter mir her.
Ich rannte und versteckte mich hinter einem Felsen und versuchte, von dort festzustellen, was mir folgte. Für einen Augenblick kroch ich aus meinem Versteck, um zu sehen. Aber wer immer mein Verfolger war, er überwältigte mich. Er war wie Seetang Er warf sich auf mich. Ich glaubte, sein Gewicht würde mich zerschmettern, aber ich fand mich in einem Rohr oder einer Mulde wieder. Ich sah deutlich, daß der Tang nicht die ganze Fläche um mich bedeckt hatte. Unter dem Felsen war ein Stück des Bodens freigeblieben. Ich begann unter ihn zu kriechen. Ich sah große Tropfen Flüssigkeit von dem Tang fallen. Ich »wußte«, daß er Verdauungssäfe ausschied, die mich auflösen sollten. Ein Tropfen fiel auf meinen Arm, ich versuchte die Säure mit Erde und Speichel abzureiben, während ich weitergrub. Einmal war ich beinahe körperlos. Ich wurde zu einem Licht in die Höhe gestoßen. Ich glaubte, der Tang hätte mich aufgelöst. Ich erkannte verschwommen ein Licht, das heiler wurde. Es schob sich unter der Erde hervor, bis es schließlich ausbrach und ich die Sonne erkannte, die hinter den Bergen aufstieg
Langsam setzten meine gewöhnlichen Sinneswahrnehmungen wieder ein. Ich lag auf dem Bauch, das Kinn auf meinen übereinanderliegenden Armen. Die Peyctte-Pflanze vcr mir leuchtete wieder hell, und bevor ich meine Augen fortnehmen kcnnte, tauchte das lange Licht wieder auf. Es schwebte über mir. Ich setzte mich. Das Licht berührte meinen ganzen Körper mit stiller Gewalt, und dann rollte es fort, bis ich es nicht mehr sah. Ich rannte den ganzen Weg bis zu dem Platz, wo die anderen Männer waren. Wir kehrten alle in die Stadt zurück. Don Juan und ich blieben noch einen Tag mit Don Roberto, dem Peyotes-Anfüher, zusammen. Ich schlief die ganze Zeit, die wir dcrt waren. Als wir grade gehen wollten, kamen die jungen Männer zu mir, die an den Peyote-Treffen teilgenommen hatten. Sie umarmten mich einer nach dem anderen und lachten leise. Jeder nannte mir seinen Namen. Ich redete stundenlang mit ihnen, jedoch nicht über die Peyote-Treffen.
Don Juan sagte, es sei Zeit zu gehen. Die jungen Männer umarmten mich wieder.. »Komm zurück«, sagte einer. »Wir warten auf dich«, sagte ein anderer.. Ich fuhr langsam los und versuchte, auch die älteren Männer noch zu sehen, aber keiner von ihnen war da.
Donnerstag, 10. September 1964
Um Don Juan über ein Erlebnis zu berichten, mußte ich es mir jedesmal Stufe für Stufe ins Gedächtnis zurückrufen. Dies schien mir die einzige Möglichkeit, das Ganze zu rekonstruieren. Heute erzählte ich ihm die Einzelheiten meiner letzten Begegnung mit Mescalito. Er hörte meiner Geschichte aufmerksam zu bis zu dem Punkt, an dem Mescaito mir seinen Namen nannte. Hier unterbrach mich Don Juan.
»Du stehst jetzt auf eigenen Füßen«, sagte er. »Der Beschützer hat dich angenommen. Von jetzt an werde ich sehr wenig helfen kömen. Du mußt nichts mehr über deine Beziehung zu ihm erzählen. Du weißt jetzt seinen Namen, und weder sein Name, noch sein Umgang mit ihm, solten jemals vor einem lebenden Wesen erwähnt werden.«
Ich bestand darauf, ihm alle Einzelheiten meiner Erfahrung mitzuteilen, denn ich verstand seine Bemerkung nicht Ich sagte ihm, ich brauchte seine Hilfe, um zu erkennen, was ich gesehen hatte;. Er sagte, ich könnte es allein tun; es sei besser für mich, wenn ich anfinge, selbständig zu denken. Ich erwiderte, daß mich seine Ansicht interessierte, weil ich allein zu lange brauchte und nicht wüßte, wie ich vorgehen sollte. Ich sagte: »Denk zum Beispiel an die Lieder. Was bedeuten »Das kannst nur du entscheiden«, sagte er. »Wie könnte ich wissen, was sie bedeuten? Der Beschützer allein kann es dir sagen, genauso, wie er allein dich seine Lieder lehren kann. Wenn ich dir sagen würde, was sie bedeuten, wäre es so, als würdest du die Lieder eines anderen lernen.«
»Was meinst du damit, Don Juan?«
»Du kannst die Heuchler erkennen, indem du die Leute die Lieder des Beschützers singen hörst. Nur die Lieder mit Seele sind sein und wurden von ihm gelehrt. Die anderen sind Kopien von Liedern anderer Männer. Manchmal sind eben die Leute so falsch. Sie singen die Lieder der anderen, ohne auch nur zu wissen, was die Lieder sagen«
Ich sagte, daß ich ihn hatte fragen wollen, zu welchem Zweck die Lieder gebraucht wurden. Er antwortete, daß die Lieder, die ich gelernt hatte, zum
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