Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Don Juan 01 - Die Lehren des Don Juan. Ein Yaqui-Weg des Wissens

Titel: Don Juan 01 - Die Lehren des Don Juan. Ein Yaqui-Weg des Wissens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
Vom Netzwerk:
bemerkte, daß etwas oder jemand außerhalb des Hauses war und hereinkommen wollte. Ich konnte nicht sagen, ob das Singen »es« am Hereinstürmen hindern oder es hereinlocken sollte. Ich war der einzige, der kein Lied hatte;. Sie schienen mich alle fragend anzusehen, besonders die jungen Männer. Ich wurde verlegen und schloß die Augen.
    Dann erkannte ich, daß ich viel besser wahrnehmen konnte, was vor sich ging, wenn ich meine Augen geschlossen hielt. Diese Vorstellung nahm mich ganz gefangen. Ich schloß die Augen und sah die Männer vor mir-. Ich öffnete die Augen, und das Bild war unverändert. Was mich umgab, war mit offenen oder geschlossenen Augen genau dasselbe.
    Plötzlich verschwand alles oder zerfiel, und die mannähnliche Gestalt Mescalitos tauchte auf, so wie ich sie zwei Jahre zuvor gesehen hatte. Ich sah ihn im Profil in einiger Entfernung sitzen. Ich starrte unverwandt auf ihn, aber er sah mich nicht an, er drehte sich nicht einmal um.
    Ich glaubte, etwas Falsches zu tun, etwas, das ihn fernhielt. Ich stand auf und ging auf ihn zu, um ihn zu fragen. Aber die Bewegung vertrieb das Bild, es begann schwächer zu werden, und die Gestalten der anwesenden Männer überlagerten es. Wieder hörte ich das laute, wahnsinnige Singen.
    Ich ging eine Weile in die nahen Büsche. Alles war in klaren Umrissen zu sehen. Ich merkte, daß ich im Dunkeln sah, aber diesmal war es kaum von Bedeutung. Die wichtige Frage war, warum mied mich Mescalito?
    Ich ging, um mich wieder der Gruppe anzuschließen, und als ich grade das Haus betreten wollte, hörte ich ein schweres Dröhnen und fühlte ein Zittern Die Erde bebte. Es war das gleiche Geräusch, das ich vor zwei Jahren in dem Peyote-Tal gehört hatte. Ich rannte in die Büsche zurück. Ich war überzeugt, daß Mescalito dort war und daß ich ihn finden würde. Aber er war nicht dort. Ich wartete bis zum Morgen und ging zu den anderen zurück, kurz bevor das Treffen endete.
    Der übliche Ablauf wiederholte sich am dritten Tag. Ich war nicht müde, schlief aber während des Nachmittags. Am Sonnabend, dem 5. September, sang der alte Mann abends sein Peyotelied, um den Zyklus noch einmal zu beginnen. Während dieses Treffens kaute ich nur einen button; ich hörte weder den Liedern zu, noch achtete ich darauf, was um mich vorging. Vom ersten Augenblick an war mein ganzes Wesen auf einzig-artige Weise auf einen Punkt konzentriert. Ich wußte, daß etwas schrecklich Wichtiges für mein Wohlbefinden fehlte. Während die Männer sangen, bat ich Mescalito mit lauter Stimme, mich ein Lied zu lehren. Mein Bitten vermischte sich mit dem lauten Singen der Männer. Ich hörte sofort ein Lied in meinem Ohr. Ich drehte mich mit dem Rücken zur Gruppe und hörte zu. Ich hörte die Worte und die Melodie wieder und wieder, und ich wiederholte sie, bis ich das ganze Lied gelernt hatte. Es war ein langes spanisches Lied. Dann sang ich es der Gruppe mehrere Male vor. Und bald daraufkam ein neues  Lied in meine Ohren. Am Morgen hatte ich beide Lieder unzählige Male gesungen. Ich fühlte mich wie neugeboren, gestärkt
    Nachdem uns das Wasser gegeben worden war, gab mir Don Juan einen Beutel, und wir gingen alle in die Hügel. Es war ein langer, anstrengender Weg zu einem flachen Tafelberg. Dort sah ich mehrere Peyote-Pflanzen Aber aus irgendeinem Grund wollte ich sie nicht ansehen. Nachdem wir den Tafelberg überquert hatten, löste sich die Gruppe auf. Don Juan und ich gingen zurück und sammelten Peyote-buttons, genauso wie wir es getan hatten, als ich ihm zum ersten Mal half.
    Wir kamen am späten Sonntagnachmittag des 6. September zurück. Am Abend eröffnete der Anführer wieder den Zyklus. Niemand hatte ein Wort gesagt, aber ich wußte sehr gut, daß es das letzte Treffen war. Diesmal sang der alte Mann ein neues Lied. Ein Sack mit frischen Peyote-buttons wurde herumgereicht. Ich probierte zum ersten Mal einen frischen button. Er war fleischig, aber schwer zu kauen. Er glich einer harten, grünen Frucht und war schärfer und bitterer als die getrockneten buttons. Ich fand die frischen buttons unendlich viel kräftiger. Ich kaute vierzehn buttons. Ich zählte sie sorgfältig. Ich kaute den letzten nicht zu Ende, denn ich hörte das vertraute Dröhnen, das die Gegenwart von Mescalito anzeigte. Alle sangen wie rasend, und ich wußte, daß Don Juan und alle anderen das Geräusch wirklich gehört hatten. Ich konnte mir nicht denken, daß ihre Reaktion auf ein von jemand gegebenes Zeichen

Weitere Kostenlose Bücher