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Don Juan 01 - Die Lehren des Don Juan. Ein Yaqui-Weg des Wissens

Titel: Don Juan 01 - Die Lehren des Don Juan. Ein Yaqui-Weg des Wissens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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erfolgt war und lediglich dazu diente, mich zu täuschen.
    In diesem Augenblick fühlte ich, wie mich eine große Woge der Weisheit verschlang. Eine Mutmaßung, mit der ich drei Jahre gespielt hatte, wurde jetzt zur Gewißheit. Ich hatte drei Jahre gebraucht, um zu erkennen oder vielmehr herauszufinden, daß, was immer in dem Kaktus Lophophora williamsii enthalten sein mochte, unabhängig von mir als Wesen existierte; es existierte dort draußen aus sich selbst, als ein Ganzes. Jetzt wußte ich es. Ich sang fieberhaft, bis ich die Worte nicht länger aussprechen konnte. Mir war, als existierten die Lieder in meinem Körper und erschütterten mich unbändig Ich mußte hinausgehen und Mescalito finden, oder ich würde zerspringen. Ich ging auf das Peyote-Feld zu. Ich sang weiter meine Lieder - . Ich wußte, sie gehörten allein mir - der unzweifelhafte Beweis meiner Individualität. Ich spürte jeden meiner Schritte. Sie hallten auf dem Boden wider, ihr Echo rief das unbeschreibliche Glücksgefühl hervor, ein Mensch zu sein.
    Jede der Peyote-Pflanzen auf dem Feld leuchtete in einem blauen funkelnden Licht. Eine Pflanze hatte ein sehr helles Licht. Ich setzte mich vor sie und sang ihr meine Lieder - . Während ich sang kam Mescalito aus der Pflanze - dieselbe menschenähnliche Gestalt, die ich zuvor gesehen hatte. Er sah mich an. Mit großem Mut, gemessen an meinem Temperament, sang ich zu ihm. Ich hörte Klänge von Flöten oder von Wind, es war eine vertraute Hangvibration Er schien wie vor zwei Jahren gesagt zu haben: »Was willst du?«
    Ich sprach sehr laut. Ich sagte, daß ich wüßte, daß etwas in meinem Leben und meinen Handlungen nicht in Ordnung sei, aber ich könne nicht herausfinden, was es sei. Ich flehte ihn an, mir zu sagen, was mit mir nicht stimmte, und ich bat ihn, mir seinen Namen zu sagen, so daß ich ihn rufen könne, wenn ich ihn brauchte. Er sah mich an, dehnte seinen Mund wie eine Trompete bis an mein Ohr und sagte mir dann seinen Namen. Plötzlich sah ich meinen eigenen Vater in der Mitte des Peyote-Feldes stehen, aber das Feld war verschwunden, und das Bild war mein altes Zuhause, das Zuhause meiner Kindheit. Mein Vater und ich standen an einem Feigenbaum. Ich umarmte meinen Vater und begann, ihm hastig Dinge zu erzählen, die ich nie zuvor hatte sagen können. Jeder meiner Gedanken war prägnant und genau. Es war, als hätten wir wirklich keine Zeit und ich müßte alles auf einmal sagen Ich sagte phantastische Dinge über meine Gefühle zu ihm, Dinge die ich unter gewöhnlichen Umständen niemals hätte aussprechen können.
    Mein Vater sprach nicht. Er hörte nur zu und wurde dann gezogen oder fortgesogen Ich war wieder allein. Ich weinte vor Reue und Traurigkeit.
    Ich ging durch das Peyote-Feld und rief den Namen, den Mescalito mich gelehrt hatte. Etwas tauchte aus einem seltsamen, sternförmigen Licht einer Peyote-Pflanze auf. Es war ein langes, glänzendes Objekt - ein leuchtender Lichtstab in der Größe eines Mannes. Einen Augenblick lang erleuchtete er das ganze Feld in einem starken gelblichen oder bernsteinfarbenen Licht, dann erleuchtete er den ganzen Himmel darüber zu einem gewaltigen, herrlichen Anblick. Ich dachte, ich würde erblinden, wenn ich es weiter ansah. Ich bedeckte meine Augen und vergrub meinen Kopf in meinen Armen.
    Ich hatte eine klare Vorstellung, daß Mescalito mich aufgefordert hatte, noch einen Peyote-buüon zu nehmen. Ich dachte: »Ich kann es nicht tun, denn ich habe kein Messer, um ihn zu schneiden. «
»Iß einen vom Boden«, sagje er aufdie gleiche, merkwürdige Art zu mir.
    Ich lag auf dem Bauch und kaute die Spitze einer Pflanze. Sie entbrannte in mir. Sie erfüllte jeden Winkel meines Körpers mit Wärme und Offenheit. Alles lebte. Alles hatte herrliche und verwirrende Augenblicke und doch war alles so einfach. Ich war überall, ich konnte hinauf; hinunter und um mich sehen, alles zur gleichen Zeit.
    Dieses Gefühl dauerte so lange, daß ich es bewußt erlebte. Dann verwandelte es sich in grausame Furcht, Furcht, die mich nicht plötzlich, sondern irgendwie flüchtig überfiel. Zuerst wurde meine herrliche Welt des Schweigens durch scharfe Geräusche erschüttert, aber ich machte mir keine Gedanken. Dann wurden die Geräusche lauter und blieben ununterbrochen, so als wollten  sie mich einschließen. Langsam verlor ich das Gefühl, in einer Welt zu treiben, die geschossen, unempfindlich und herrlich war. Die Geräusche wurden zu riesigen Schritten. Etwas

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