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Don Juan 01 - Die Lehren des Don Juan. Ein Yaqui-Weg des Wissens

Titel: Don Juan 01 - Die Lehren des Don Juan. Ein Yaqui-Weg des Wissens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Flut von Gedanken kam mir schnell und blitzartig in den Sinn. Es waren merkwürdige Gedanken, d h. sie waren insofern merkwürdig, als sie mir anders als gewöhnliche Gedanken einfielen. Ich kenne meine Art zu denken. Meine Gedanken haben eine bestimmte Ordnung, die meine eigene ist, und jede Abweichung ist wahrnehmbar. Einer der fremden Gedanken betraf eine von einem Autor gegebene Darstellung. Ich erinnere mich undeutlich, daß es mehr wie eine Stimme war oder etwas, das irgendwie im Hintergrund gesprochen wurde. Es geschah so schnell, daß es mich erschreckte. Ich wollte überlegen, was es war, aber es veränderte sich zu einem gewöhnlichen Gedanken. Ich war sicher, daß ich die Darstellung gelesen hatte, aber mir fiel der Name des Autors nicht ein. Plötzlich erinnerte ich mich, daß es Alfred Kroeber war. Dann tauchte ein anderer fremder Gedanke auf und »sagte«, daß es nicht Kroeber, sondern Georg Simmel war, von dem diese Darstellung sei. Ich bestand darauf, daß es Kroeber war und gleich darauf wußte ich, daß ich mitten in einem Streit mit mir selbst war. Das Gefühl, verioen zu sein, hatte ich vergessen.
    Meine Augenlider waren so schwer, als hätte ich Schlaftabletten genommen. Obwohl ich nie welche genommen hatte, fiel mir dieses Bild ein. Ich begann einzuschlafen. Ich wollte zu meinem Auto geben und hineinkriechen aber ich konnte mich nicht bewegen.
    Dann wachte ich plötzlich auf, oder vielmehr hatte ich das deutliche Gefühl, erwacht zu sein. Mein erster Gedanke war die Tageszeit Ich sah mich um. Ich befand mich nicht vcr meiner Datura-Pflanze Gleichgültig akzeptierte ich die Tatsache, daß ich eine neue Erfahrung der Weissagung machte. Auf einer Uhr über meinem Kopf war es 12:39 Uhr. Ich wußte, es war Nachmittag Ich sah einen jungen Mann, der einen Stapel Papier trug. Ich berührte ihn fast. Ich sah die Adern auf seinem Hals pulsieren und hörte das schnelle Schlagen seines Herzens. Ich war sc in das vertieft gewesen, was ich sah, daß mir die Eigenart meiner Gedanken bis dahin nicht bewußt geworden war - . Dann hörte ich eine »Stimme« in meinem Ohr die Szene beschreiben, und ich erkannte, daß die Stimme der fremde Gedanke in meinem Verstand war.
    Ich war sc im Zuhören gefangen, daß die Szene ihren visuellen Reiz verlcr. Ich hörte die Stimme in meinem rechten Ohr über meiner Schulter. In Wirklichkeit rief sie die Szene hervcr, indem sie sie beschrieb, aber sie gehorchte meinem Willen, denn ich kcnnte sie jederzeit unterbrechen und die Einzelheiten dessen, was sie sagte, behutsam prüfen. Ich »hörte-sah« die ganze Fclge der Handlungen des jungen Mannes. Die Stimme erklärte sie in allen Einzelheiten, aber irgendwie war die Handlung nicht wichtig Die leise Stimme war das ungewöhnliche Ereignis. Dreimal im Verlauf des Erlebnisses versuchte ich mich umzudrehen, und zu sehen, wer sprach. Ich versuchte, meinen Kopf ganz nach rechts zu drehen oder mich plötzlich unerwartet umzudrehen, um zu sehen, ob jemand da sei. Aber jedesmal, wenn ich es tat, verwischte sich, was ich sah. Ich dachte »Der Grund dafür, daß ich mich nicht umdrehen kann, liegt darin, daß die Szene nicht im Bereich alltäglicher Wirklichkeit ist.« Und dieser Gedanke war mein eigener. Von da an lenkte ich meine Aufmerksamkeit allein auf die Stimme. Sie schien von meiner Schulter zu kommen Sie war vollkommen klar, obwohl es eine schwache Stimme war. Es war jedoch keine Kinderoder Fistelstimme, sondern die winzige Stimme eines Mannes. Es war auch nicht meine Stimme. Ich vermutete, daß es Englisch war, was ich hört^. Jedesmal wenn ich vorsichtig versuchte, die Stimme zu fangen, nahm sie ganz ab oder wurde undeutlich, und die Szene verblaßte. Ich dachte an einen Vergleich. Die Stimme war wie das Bild, das durch Staubteilchen auf den Wimpern entsteht, oder durch die Blutgefäße auf der Hornhaut des Auges; eine wurmartige Form, die man sieht, solange man sie nicht direkt anblickt, aber sobald man versucht, sie direkt anzusehen, schiebt sie sich mit der Bewegung des Augapfels aus dem Blickfeld.
    Während ich zuhörte, wurde die Stimme komplexer. Was ich für eine Stimme hielt, war mehr wie etwas, das mir Gedanken ins Ohr flüsterte. Aber das stimmte nicht Etwas dachte für mich. Die Gedanken waren außerhalb von mir. Ich wußte, daß es so war, denn ich konnte meine eigenen Gedanken und die Gedanken des »anderen« gleichzeitig erfassen.
    An einem Punkt rief die Stimme Szenen hervor, die von dem jungen Mann ausgeführt

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