Don Juan 01 - Die Lehren des Don Juan. Ein Yaqui-Weg des Wissens
verschlagen, daß ich verwirrt wurde. Es war, als versuche er, sich wie eine Frau zu bewegen; es war, als versuche eine Frau, sich wie Don Juan zu bewegen. Ich hatte den Eindruck, daß sie wirklich versuchte, sich mit Don Juans Behutsamkeit zu bewegen und zu gehen, aber sie war zu schwer und nicht so gelenkig wie Don Juan. Wer immer vor mir war, rief den Eindruck hervor, eine jüngere, schwere Frau zu sein, die versuchte, die langsamen Bewegungen eines beweglichen, alten Mannes nachzuahmen.
Diese Gedanken stürzten mich in einen Zustand der Panik. Ganz in meiner Nähe begann eine Grille laut zu rufen. Ich bemerkte die Fülle ihres Tons; ich stellte sie mir mit einer Baritonstimme vor. Der Ruf begann zu verblassen. Plötzlich zuckte mein ganzer Körper. Ich nahm die Kampfhaltung wieder ein und drehte mich in die Richtung, aus der der Grillenruf gekommen war. Der Klang trug mich fort; er hatte schon begonnen mich emzufangen, bevor ich merkte, daß er einem Grillenruf nur ähnlich war. Der Klang kam wieder näher. Er wurde schrecklich laut. Ich begann meine Peyotelieder lauter und lauter zu singen.
Plötzlich verstummte die Grille. Ich setzte mich sofort hin, sang aber weiter - . Einen Augenblick später sah ich die Gestalt eines Mannes auf mich zurennen. Er kam aus der Richtung, die dem Grillenruf entgegengesetzt war. Ich schlug meine Hände auf Schenkel und Wade und stampfte wild und rasend. Die Gestalt zog sehr schnell an mir vorbei und berührte mich fast. Sie sah wie ein Hund aus. Ich erlebte eine so schreckliche Furcht, daß ich wie betäubt war. Ich kann mich nicht erinnern, irgend etwas anderes gefühlt oder gedacht zu haben.
Der Morgentau war erfrischend. Ich fühlte mich besser. Was immer das Phänomen war, es schien sich zurückgezogen zu haben. Es war 5.48 Uhr morgens, als Don Juan leise die Tür öffnete und herauskam. Er streckte die Arme, gähnte, und sein Blick streifte mich. Er machte zwei Schritte auf mich zu, während er immer noch gähnte. Ich sah seine Augen durch halbgeschlossene Lider blicken. Ich sprang auf; jetzt wußte ich: Wer oder was auch immer vor mir stand - Don Juan war es nicht. Ich nahm einen kleinen, scharfkantigen Stein vom Boden. Er lag neben meiner rechten Hand. Ich sah ihn nicht an; ich hielt ihn nur, indem ich ihn mit meinem Daumen gegen meine ausgestreckten Finger preßte. Ich nahm die Haltung ein, die Don Juan mir gezeigt hatte. Ich fühlte in Sekundenschnelle eine merkwürdige Kraft in mir aufsteigen. Dann schrie ich und warf den Stein nach ihm. Es war ein unglaublicher Aufschrei. In diesem Augenblick war es mir egal, ob ich lebte oder starb. Ich fühlte, daß der Schrei in seiner Gewalt furchterregend war. Er war durchdringend und lang und lenkte wirklich auf mein Ziel. Die Gestalt vor mir schwankte, kreischte und taumelte zur Seite des Hauses und wieder in die Büsche. Ich brauchte Sekunden, um mich zu beruhigen. Ich konnte nicht mehr sitzen; ich ging an einer Stelle hin und her. Ich mußte durch den Mund atmen, um genug Luft zu kriegen.
Um 11 Uhr vormittags kam Don Juan wieder heraus. Ich wollte hochspringen, aber es waren seine Bewegungen. Er ging direkt zu seiner Stelle und setzte sich, so wie er es immer tat. Er sah mich an und lächelte. Er war Don Juan! Ich ging zu ihm, und statt zornig zu sein, küßte ich seine Hand. Ich glaubte nun wirklich, daß er mir nichts vorgespielt hatte, um einen dramatischen Effekt zu erreichen, sondern daß jemand ihn verkörpert hatte, um mir zu schaden oder mich zu töten.
Das Gespräch begann mit Vermutungen über die Identität einer weiblichen Person, die angeblich meine Seele genommen hatte. Dann bat mich Don Juan, ihmjede Einzelheit meiner Erfahrung zu erzählen.
Ich erzählte sehr behutsam die ganze Folge der Ereignisse. Er lachte die ganze Zeit, so als sei es ein Scherz. Als ich fertig war, sagte er: »Du hast es gut gemacht. Du hast den Kampf um deine Seele gewonnen. Aber diese Sache ist ernster, als ich dachte. Dein Leben war keinen Pfennig wert letzte Nacht. Man kann von Glück reden, daß du in der Vergangenheit etwas gelernt hast. Wenn du nicht ein wenig Übung gehabt hättest, wärest du jetzt tot, denn wen immer du letzte Nacht gesehen hast, er wollte dich erledigen.«
»Wie ist es möglich, Don Juan, daß sie deine Stelle einnehmen konnte?«
»Sehr einfach. Sie ist eine diablera und hat einen guten Helfer auf der anderen Seite. Aber sie hat mich nicht allzugut nachgeahmt, und du hast ihre Tricks
Weitere Kostenlose Bücher