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Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten

Titel: Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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erklärte Don Juan, nachdem er den Blick abgewandt hatte. »Es ist unmöglich, es zu üben, daher habe ich dir nicht empfohlen oder dich gar ermuntert, es zu tun. Irgendwann im Leben eines Kriegers passiert es einfach. Niemand weiß, wie es passiert.«
    Er schwieg eine Weile. Mir wurde ganz unbehaglich zumute. Aber plötzlich sprach Don Juan weiter. »Das Geheimnis liegt im linken Auge«, sagte er. »Wenn ein Krieger auf dem Wege des Wissens bewandert ist, kann sein linkes Auge alles fassen. Meist hat das linke Auge eines Kriegers ein merkwürdiges Aussehen. Manchmal schielt er dauernd oder es wird kleiner als das andere, oder größer, oder irgendwie anders.« Er schaute mich an und machte scherzhaft Anstalten, mein linkes Auge zu untersuchen. In gespielter Mißbilligung schüttelte er den Kopf und lachte.
    »Sobald der Lehrling eingefangen ist, beginnt die Unterweisung«, fuhr er fort. »Die erste Handlung des Lehrers besteht darin, daß er dem Schüler die Vorstellung vermittelt, daß die Welt, die wir zu sehen glauben, nur eine Ansicht, eine Beschreibung der Welt ist. Alle Bemühungen des Lehrers zielen darauf ab, dem Schüler dies zu beweisen. Aber es zu akzeptieren scheint uns schwerer zu fallen als alles andere. Selbstgefällig sind wir in unserer partiellen Weltansicht befangen, die uns zwingt, so zu fühlen und zu handeln, als wüßten wir alles über die Welt. Vom allerersten Augenblick an bezweckt der Lehrer mit all seinem Tun, diese Ansicht zu stören. Die Zauberer nennen es >den inneren Dialog anhalten<, und sie sind davon überzeugt, daß dies die allerwichtigste Technik ist, die der Lehrling lernen kann.
    Um einer Weltansicht ein Ende zu setzen, der wir von der Wiege an gehorchen, genügt es nicht, dies nur zu wollen. Wir brauchen dazu eine praktische Aufgabe. Diese Aufgabe ist das >Richtige Gehen<. Das erscheint harmlos und unsinnig. Wie alles, was Kraft in sich trägt oder selbst Kraft ist, entgeht das >Richtige Gehen< unserer Aufmerksamkeit. Du hast es, zumindest viele Jahre lang, als eine komische Verhaltensweise verstanden und aufgefaßt. Erst letzthin dämmerte dir, daß es das wirksamste Mittel ist, deinen inneren Dialog anzuhalten.«
    »Wie kann das >Richtige Gehen< den inneren Dialog anhalten?« fragte ich. »Diese besondere Art zu gehen überflutet das Tonal«, sagte er. »Es durchströmt es. Siehst du, die Aufmerksamkeit des Tonal muß auf seine Schöpfungen gelenkt werden. Eigentlich schafft überhaupt erst diese Aufmerksamkeit die Ordnung der Welt. Das Tonal muß also aufmerksam auf die Elemente seiner Welt achten, um diese zu stützen, und muß vor allem die Ansicht der Welt als innerer Dialog aufrechterhalten.« Das >Richtige Gehern, sagte er, sei eine List. Dabei lenkt der Krieger, durch das Einkrümmen der Finger, seine Aufmerksamkeit zuerst auf seine Arme. Und dann, indem er - ohne seinen Blick zu zentrieren - auf irgendeinen Punkt geradeaus vor ihm auf einem an seinen Fußspitzen beginnenden und über dem Horizont endenden Bogen schaut, überflutet er buchstäblich sein »Tonal« mit Informationen. Das »Tonal«, sagt er, könne dann, ohne unmittelbaren Kontakt mit den Elementen seiner Beschreibung, nicht mehr mit sich selbst sprechen, und so entstehe das innere Schweigen. Es komme dabei gar nicht auf eine bestimmte Stellung der Finger an, erklärte Don Juan. Es gehe lediglich darum, durch das Anspannen der Finger in verschiedenen ungewohnten Haltungen die Aufmerksamkeit auf die Arme zu lenken; das einzig Wichtige sei, daß die unkonzentriert blickenden Augen eine Unmenge Bilder von der Welt auffangen, ohne sie klar zu sehen. In diesem Zustand, fügte er hinzu, könnten die Augen Details aufnehmen, die zu flüchtig für die normale Beobachtung seien.
    »Zusammen mit dem >Richtigen Gehen<«, fuhr Don Juan fort, »muß der Lehrer eine andere, noch schwierigere Fähigkeit lehren, nämlich die Fähigkeit, zu handeln, ohne zu glauben, ohne Belohnung zu erwarten - einfach drauflos zu handeln. Ich übertreibe wohl nicht, wenn ich dir sage, daß der Erfolg eines Lehrers davon abhängt, wie gut und wie harmonisch er seinen Lehrling in dieser Hinsicht leitet.« Ich sagte Don Juan, ich könne mich nicht daran erinnern, daß er je das »Draufloshandeln« als besondere Technik behandelt hätte; höchstens seien mir seine häufigen, aber unzusammenhängenden Bemerkungen darüber präsent. Er lachte und meinte, dies sei ein so unauffälliger Kunstgriff gewesen, daß er bis heute meiner

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