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Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten

Titel: Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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wird das Nagual hier sein«, sagte er. Er setzte sich wieder.
    »Eine Frage haben wir bisher ausgelassen«, fuhr er fort. »Die Zauberer nennen sie das Geheimnis der leuchtenden Wesen, und dieses ist die Tatsache, daß wir wahrnehmende Wesen sind. Wir Menschen und alle anderen leuchtenden Wesen auf Erden sind Wahrnehmende. Das ist unsere Blase, die Blase der Wahrnehmung. Unser Irrtum ist, daß wir glauben, die einzig anerkennenswerte Wahrnehmung sei das, was durch unsere Vernunft gefiltert ist. Die Zauberer glauben, daß die Vernunft nur ein Zentrum ist und daß man nicht gar so fest mit ihr rechnen sollte.
    Genaro und ich haben dich die Sache mit den acht Punkten gelehrt, welche die Ganzheit unserer Blase der Wahrnehmung ausmachen. Sechs Punkte kennst du bereits. Heute werden Genaro und ich deine Blase der Wahrnehmung noch weiter leerfegen, und danach wirst du die zwei restlichen Punkte erkennen.«
    Unvermittelt wechselte er das Thema und bat mich, ihm einen ausführlichen Bericht über meine Wahrnehmungen am Vortag zu geben, ausgehend von dem Augenblick, da ich Don Genaro auf einem Felsen neben der Straße hatte sitzen sehen. Er gab keinerlei Kommentar von sich und unterbrach mich nicht. Als ich geendet hatte, fügte ich noch eine eigene Beobachtung an. Am anderen Morgen hatte ich nämlich mit Nestor und Pablito gesprochen, und sie hatten mir von ihren Wahrnehmungen berichtet, die den meinen ganz ähnlich waren. Ich meinte nun, daß er selbst mir gesagt habe, das »Nagual« sei eine individuelle Erfahrung, die nur der Beobachter allein erleben könne. Am Vortag waren wir drei Beobachter gewesen, und alle hatten wir mehr oder minder dasselbe erlebt. Die Unterschiede drückten sich nur in der Art aus, wie jeder von uns auf spezifische Einzelheiten des ganzen Phänomens reagierte oder was er dabei empfand.
    »Was gestern geschah, war eine Demonstration des Nagual für dich und für Nestor und Pablito. Ich bin ihr Wohltäter. Genaro und ich haben zusammen bei euch allen dreien das Zentrum der Vernunft ausgeschaltet. Genaro und ich hatten genügend Kraft, um euch zur Übereinstimmung über das zu bringen, was ihr erlebtet. Vor einigen Jahren waren du und ich eines Nachts mit einer Gruppe von Lehrlingen zusammen, aber ich allein hatte nicht genug Kraft, um euch alle dasselbe erleben zu lassen.«
    Er sagte, daß er aufgrund dessen, was ich ihm über meine Wahrnehmungen am Vortag berichtet und was er an mir »gesehen« hatte, zu dem Schluß gekommen sei, daß ich für die Erklärung der Zauberer bereit sei. Pablito ebenfalls, setzte er hinzu, doch bei Nestor sei er sich nicht sicher. »Für die Erklärung der Zauberer bereit sein, das ist eine sehr schwierige Errungenschaft«, sagte er. »Das sollte es nicht sein, aber wir lassen uns gehen und gefallen uns in unserer lebenslangen Ansicht der Welt. In dieser Hinsicht seid ihr, du. Nestor und Pablito, euch ähnlich. Nestor versteckt sich hinter seiner Scheu und Schwermut, Pablito hinter seinem entwaffnenden Charme. Du versteckst dich hinter deinem Vorwitz und hinter Worten. All dies sind Ansichten, die scheinbar nicht in Frage zu stellen sind. Und solange ihr drei darauf beharrt, euch ihrer zu bedienen, so lange sind eure Blasen der Wahrnehmung nicht leergefegt, und die Erklärung der Zauberer hat für euch keinen Sinn.«
    Witzig aufgelegt, meinte ich, diese berühmte Erklärung der Zauberer habe mir lange genug zu schaffen gemacht, aber je näher ich ihr käme, desto ferner erscheine sie mir. »Wäre es nicht ein Ding, wenn die Erklärung der Zauberer sich als eine Niete herausstellte?« fragte er unter lautem Gelächter. Er klopfte mir den Rücken und schien vergnügt wie ein Kind, das sich über einen gelungenen Streich freut. »Genaro ist ein pedantischer Verfechter der Regel«, meinte er in vertraulichem Ton. »Es hat nicht viel auf sich mit dieser verflixten Erklärung. Wäre es nach mir gegangen, dann hätte ich sie dir schon vor Jahren gegeben. Erwarte dir also nicht zu viel davon!« Er blickte prüfend zum Himmel auf.
    »Jetzt bist du bereit«, sagte er in dramatischem, feierlichem Ton. »Es ist Zeit, daß wir gehen. Aber bevor wir diesen Ort verlassen, muß ich dir noch ein letztes sagen: Das Mysterium oder das Geheimnis der Erklärung der Zauberer ist, daß es dabei um das Ausbreiten der Flügel der Wahrnehmung geht.« Er legte die Hand auf meinen Schreibblock und meinte, ich solle jetzt ins Gebüsch gehen und meine körperlichen Funktionen verrichten, und danach

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