Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten
mich zwang, mich in der Gangart der Kraft zu üben. »Wir kommen jetzt zum Ende meiner Zusammenfassung«, sagte er. »Und jetzt müssen wir über Genaro sprechen.« Don Juan sagte, es habe an dem Tag, als ich Don Genaro zum ersten Mal traf, ein sehr bedeutsames Omen gegeben. Ich sagte ihm, ich könne mich an nichts Ungewöhnliches entsinnen. Er erinnerte mich daran, wie wir an jenem Tag auf einer Bank im Park gesessen hatten. Davor habe er erwähnt, sagte er, daß er auf einen Freund warte, den ich noch nie gesehen hätte, und daß ich dann, als dieser Freund auftauchte, ihn inmitten einer großen Menschenmenge ohne Zögern erkannt hätte. Das sei das Omen gewesen, das ihn hatte erkennen lassen, daß Don Genaro mein Wohltäter sei. Jetzt, da er es sagte, erinnerte ich mich daran, daß ich, während wir dasaßen und uns unterhielten, mich plötzlich umgedreht und einen kleinen, schlanken Mann gesehen hatte, der eine ungewöhnliche Vitalität oder Grazie oder einfach gute Laune ausstrahlte. Er war gerade um die Ecke in den Park gebogen. Scherzhaft aufgelegt, hatte ich zu Don Juan gesagt, sein Freund sei im Anmarsch, und nach seinem Aussehen zu urteilen, sei er höchstwahrscheinlich ein Zauberer. »Von diesem Tag an hat Genaro stets geraten, was mit dir geschehen sollte«, fuhr Don Juan fort. »Als dein Führer zum Nagual gab er dir makellose Demonstrationen, und jedesmal, wenn er als Nagual eine Tat vollbrachte, warst du um ein Wissen bereichert, das deine Vernunft herausforderte und ihr entzogen war. Er nahm deine Ansicht der Welt auseinander, obwohl du das immer noch nicht weißt. Auch in diesem Fall hast du dich genauso verhalten wie im Falle der Kraft-Pflanzen, die du mehr als notwendig brauchtest. Nur wenige An-sriffe des Nagual sollten genügen, um die Ansicht eines Menschen zu demontieren. Aber sogar heute noch, nach all diesem Trommelfeuer des Nagual, scheint deine Ansicht unverletzlich zu sein. Seltsamerweise ist dies deine beste Eigenschaft. Alles in allem war es also Genaros Aufgabe, dich in das Nagual einzuführen. Aber jetzt kommt eine komische Frage: Was wurde da eigentlich in das Nagual eingeführt?« Augenzwinkernd drängte er mich, die Frage zu beantworten. »Meine Vernunft?«
»Nein, die Vernunft ist hier belanglos«, antwortete er. »Die Vernunft bricht in dem Augenblick zusammen, da sie sich außerhalb ihrer engen, sicheren Grenzen befindet.«
»Dann war es wohl mein Tonal?« sagte ich. »Nein, das Tonal und das Nagual sind die zwei zusammengehörigen Teile unseres Selbst«, sagte er scharf. »Sie können nicht ineinander übergeführt werden.«
»Meine Wahrnehmung?«, fragte ich. »Du hast es!« schrie er, als sei ich ein Kind, das die richtige Antwort getroffen hat. »Jetzt kommen wir zur Erklärung der Zauberer. Ich habe dich ja schon gewarnt, daß sie nichts erklären wird, und doch . . .«
Er machte eine Pause und sah mich mit strahlenden Augen an. »Dies ist noch einer von den Tricks der Zauberer«, sagte er. »Was meinst du? Was ist der Trick?« fragte ich, leicht beunruhigt. »Die Erklärung der Zauberer, natürlich«, erwiderte er. »Das wirst du gleich selbst sehen. Aber laß mich fortfahren! Die Zauberer behaupten, daß wir in einer Blase stecken. In einer Blase, in die wir im Augenblick unserer Geburt gesteckt werden. Zuerst ist die Blase offen, aber dann beginnt sie sich zu schließen, bis sie uns ganz eingeschlossen hat. Diese Blase ist unsere Wahrnehmung. Unser Leben lang leben wir in dieser Blase. Und was wir an ihren gewölbten Wänden sehen, ist unser eigenes Spiegelbild.«
Er senkte den Kopf und sah mich schief an. Er kicherte. »Du kneifst«, sagte er. »Hier solltest du einen Einwand machen.«
Ich lachte. Irgendwie hatten seine Warnungen vor der Erklärung der Zauberer, zusammen mit der Erkenntnis des staunenswerten Grades seiner Bewußtheit, angefangen, bei mir Wirkung zu zeigen.
»Welchen Einwand sollte ich denn machen?« fragte ich. »Wenn das, was wir an den Wänden sehen, unser eigenes Spiegelbild ist, dann muß das, was gespiegelt wird, das Eigentliche sein«, sagte er lächelnd.
»Das ist ein guter Einwand«, sagte ich in scherzendem Ton. Diesem Argument konnte meine Vernunft folgen. »Das, was da reflektiert wird, ist unsere Ansicht der Welt«, sagte er. »Diese Ansicht ist zuerst eine Beschreibung, die uns im Augenblick unserer Geburt gegeben wird, bis unsere ganze Aufmerksamkeit von ihr gefangengenommen wird und die Beschreibung eine Ansicht wird.
Die Aufgabe
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