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Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten

Titel: Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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umschleicht, ist die Welt ein unergründliches Mysterium. Dies hat die Kraft dir gezeigt. Ich habe nichts anderes getan, als die Details dieses Omens zusammenzufügen, damit dir die Richtung klar werde. Aber indem ich die Details zusammenfügte, habe ich dir auch gezeigt, daß ich alles, was ich dir heute sagte, selbst glauben muß, denn dies ist die innere Wahl meiner Seele.« Wir blickten uns eine Weile in die Augen. »Ich erinnere mich an ein Gedicht, das du mir immer vorgelesen hast«, sagte er und wandte die Augen ab. »Es handelt von einem Mann, der sich geschworen hat, in Paris zu sterben. Wie geht es nur gleich?«
    Es handelte sich um Cesar Vallejos »Schwarzer Stein auf weißem Stein«. Die ersten beiden Verse hatte ich Don Juan auf seinen Wunsch unzählige Male vorgelesen und aufgesagt.
    Ich will in Paris sterben, wenn es regnet.
    An einem Tag, an den ich mich bereits erinnere.
    Ich will in Paris sterben - und ich laufe nicht weg -
    Vielleicht im Herbst, an einem Donnerstag, wie heute.
    Ein Donnerstag wird es sein, denn heute
    Am Donnerstag, da ich diese Zeilen schreibe
    Spüren meine Knochen die Wende,
    Und nie war ich wie heute, auf meinem langen Weg.
    Mit mir so allein.
    Dieses Gedicht enthielt für mich eine unbeschreibliche Traurigkeit.
    Don Juan flüsterte mir zu, er müsse glauben, daß der sterbende Mann genug persönliche Kraft hatte, die ihn befähigte. die Straßen von Mexico City als Ort seines Sterbens zu wählen. »Damit sind wir wieder bei der Geschichte von den zwei Katzen«, sagte er. »Wir müssen glauben, daß Max wußte, was ihm bevorstand, und daß er. wie der Mann dort drüben, genug Kraft hatte, um wenigstens den Platz seines Endes zu wählen. Aber dann war da noch die andere Katze, genau wie es noch andere Menschen gibt, deren Tod sie einkreisen wird, während sie allein sind, bewußtlos, und an die Wände und die Decke eines häßlichen, öden Zimmers starren. Dieser Mann hingegen stirbt dort, wo er immer gelebt hat, in den Straßen der Stadt. Drei Polizisten sind seine Ehrenwache. Und während er verlöscht, werden seine Augen ein letztes Bild von den Lichtern der Geschäfte auf der anderen Straßenseite auffangen, von den Autos, den Bäumen, den umherirrenden Menschentrauben, und seine Ohren werden zum letztenmal vom Verkehrslärm und den Stimmen der vorübereilenden Männer und Frauen erfüllt sein. Du siehst also, ohne ein Bewußtsein von der Gegenwart unseres Todes gibt es keine Kraft, kein Mysterium.« Lange starrte ich den Mann an. Er lag reglos da. Vielleicht war er tot. Aber meine Zweifel zählten nicht mehr. Don Juan hatte recht. Glauben zu müssen, daß die Welt geheimnisvoll und unergründlich ist, das war ein Ausdruck der innersten Wahl eines Kriegers. Ohne dies besäße er nichts.

Die Insel des Tonal
    Anderntags, gegen Mittag, trafen Don Juan und ich uns wieder im gleichen Park. Er trug immer noch seinen braunen Anzug. Wir setzten uns auf eine Bank; er zog seinen Rock aus, faltete ihn sehr sorgfältig, aber mit überlegener Gleichgültigkeit zusammen und legte ihn auf die Bank. Seine Gleichgültigkeit wirkte sehr einstudiert und dennoch vollkommen natürlich. Ich ertappte mich dabei, wie ich ihn unverwandt anschaute. Er schien zu wissen, welch ein Paradox er mir aufgab, und lächelte. Er rückte seine Krawatte zurecht. Er trug ein beigefarbenes, langärmeliges Hemd. Es kleidete ihn sehr gut. »Ich habe immer noch meinen Anzug an, weil ich dir etwas sehr Wichtiges sagen will«, meinte er und klopfte mir auf die Schulter. »Gestern hast du dich sehr gut gehalten. Jetzt ist es Zeit, daß wir uns über ein paar abschließende Dinge einigen.« Er machte eine lange Pause. Anscheinend überdachte er seine Worte. Ich hatte ein seltsames Gefühl im Magen. Meine erste Vermutung war, er würde mir die Erklärung der Zauberer mitteilen. Etliche Male stand er auf und ging vor mir auf und ab, als ob es ihm schwerfiele, seine Gedanken in Worte zu fassen.
    »Laß uns doch in das Restaurant da drüben gehen und eine Kleinigkeit essen!« sagte er schließlich. Er faltete sein Jackett auseinander, und bevor er es anzog, zeigte er mir, daß es ganz gefüttert war. »Es ist tadellos gearbeitet«, sagte er und lächelte, als sei er stolz darauf, als sei ihm viel daran gelegen. »Ich muß dich darauf aufmerksam machen, sonst würdest du es nicht bemerken, und es ist sehr wichtig, daß du es merkst. Du merkst nur dann etwas, wenn du glaubst, du solltest es. Die Bedingung eines Kriegers ist

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