Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten
aber, daß er zu jeder Zeit alles merkt.
Mein Anzug und das ganze Drum und Dran sind wichtig, weil es meine Bedingung im Leben darstellt. Oder besser, die Bedingung eines der zwei Teile meiner Ganzheit. Diese Diskussion war schon lange fällig. Ich glaube, jetzt ist die rechte Zeit dafür. Sie muß jedoch korrekt geführt werden, sonst hätte sie gar keinen Sinn. Ich wollte, daß mein Anzug dir das erste Stichwort gibt. Das hat er, glaube ich. getan. Jetzt ist es Zeit zu sprechen, denn was dieses Thema betrifft, so gibt es ohne Sprechen kein völliges Verstehen.«
»Welches Thema denn, Don Juan?«
»Die Ganzheit des Selbst«, sagte er. Er stand abrupt auf und führte mich in den Speisesaal eines großen Hotels auf der anderen Straßenseite. Eine ziemlich unfreundliche Kellnerin wies uns einen Tisch in einer rückwärtigen Nische an. Die bevorzugten Plätze waren offensichtlich an den Fenstern.
Ich erzählte Don Juan, daß diese Frau mich an eine andere Kellnerin in einem Restaurant in Arizona erinnerte, wo Don Juan und ich einmal gegessen hatten, an eine Frau, die uns fragte, bevor sie uns die Speisekarte reichte, ob wir auch genug Geld zum Bezahlen hätten.
»Auch dieser armen Frau will ich keinen Vorwurf machen«, sagte Don Juan, als habe er Mitleid mit ihr. »Auch sie, wie jene andere, hat Angst vor Mexikanern.« Er lachte leise. Ein paar Menschen an den Nachbartischen drehten die Köpfe und schauten uns an. Don Juan meinte, die Kellnerin habe uns unwissentlich oder vielleicht sogar entgegen ihrer Absicht den besten Tisch des Hauses gegeben, einen Tisch, wo ich nach Herzenslust schreiben und wir miteinander reden könnten. Ich hatte gerade mein Schreibzeug aus der Tasche geholt und auf den Tisch gelegt, als der Kellner sich plötzlich vor uns aufbaute. Er schien genauso schlechter Laune zu sein. Mit herausfordernder Miene schaute er auf uns herab. Don Juan bestellte sich ein sehr ausgefallenes Gericht. Ergab seine Bestellung auf, ohne auf die Speisekarte zu schauen, als wisse er sie auswendig. Ich war im Nachteil. Der Kellner war unerwartet aufgetaucht, und ich hatte keine Zeit gehabt, die Speisekarte zu lesen, daher sagte ich ihm, ich wolle das gleiche. Don Juan flüsterte mir ins Ohr: »Ich wette, sie haben nicht, was ich bestellt habe.« Er reckte seine Arme und Beine und forderte mich auf, es mir bequem zu machen und mich zu entspannen, denn die Zubereitung des Menüs werde eine Ewigkeit dauern. »Du befindest dich an einem ganz vertrackten Scheideweg«, sagte er. »Vielleicht ist es der letzte und vielleicht auch der am schwersten verstehbare. Einige Dinge, die ich dir heute erklären will, werden dir wahrscheinlich nie klarwerden. Sie brauchen dir ohnehin nicht klarzuwerden. Laß dich also nicht verwirren oder entmutigen! Wir alle sind dumme Toren, sobald wir die Welt der Zauberer betreten, und sie zu betreten versichert uns in keiner Weise, daß wir uns ändern werden. Manche von uns bleiben dumm bis ans Ende.« Mir gefiel es, daß er sich selbst zu den Toren rechnete. Ich wußte allerdings, daß er das nicht aus Bescheidenheit tat. sondern es als didaktisches Hilfsmittel einsetzte. »Mach dir nichts draus, wenn du nicht den Sinn dessen verstehst, was ich dir sagen werde!« fuhr er fort. »In Anbetracht deines Temperaments fürchte ich, du wirst dich halb umbringen, um es vielleicht doch zu verstehen. Tu das nicht! Was ich dir sagen will, soll dir lediglich eine Richtung zeigen.« Plötzlich beschlich mich Angst. Don Juans Ermahnungen zwangen mich zu endlosen Spekulationen. Ganz ähnlich hatte er mich schon bei anderen Gelegenheiten gewarnt, und jedes-mal, wenn er dies tat, hatte sich das, wovor er mich warnte, als eine verheerende Sache erwiesen. »Es macht mich ganz nervös, wenn du so zu mir sprichst«, sagte ich.
»Das weiß ich«, entgegnete er ruhig. »Ich versuche absichtlich, dir auf die Sprünge zu helfen. Ich brauche deine Aufmerksamkeit, deine ungeteilte Aufmerksamkeit.« Er machte eine Pause und sah mich an. Unwillkürlich mußte ich nervös lachen. Ich wußte, daß er die dramatische Spannung des Augenblicks hinauszögerte, so gut es ging. »Dies sage ich dir nicht aus Effekthascherei«, sagte er, als habe er meine Gedanken gelesen. »Ich will dir nur Zeit geben, dich richtig darauf einzustellen.«
In diesem Augenblick blieb der Kellner vor unserem Tisch stehen, um zu verkünden, daß es das, was wir bestellt hatten, nicht gab. Don Juan lachte laut heraus und bestellte Tortillas und
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