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Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft

Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft

Titel: Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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regelrechtes Omen sei. Er sagte, daß Zauberer stets das erste aus einer Reihe von Ereignissen als Skizze oder Landkarte der Geschehnisse auffassen, die sich in der Folge entwickeln. In der betreffenden Vision erschaute ich eine fremdartige Welt. Direkt vor meinen Augen war ein riesiger Stein - ein Stein, der entzweigespalten war. Durch eine breite Lücke blickte ich in eine grenzenlose phosphoreszierende Ebene hinaus, ein Tal, das in grünlich-gelbes Licht getaucht war. Auf der einen Seite des Tales, rechts und meinem Blick durch den riesigen Stein teilweise verborgen, befand sich ein unglaubliches kuppelartiges Bauwerk.
    Seine Farbe war dunkel, beinah graphitgrau. Wenn meine Körpergröße die gleiche war wie im alltäglichen Leben, dann mußte die Kuppel an die 50 000 Fuß hoch und viele Meilen breit sein. Solche Ungeheuerlichkeit verwirrte mich. Ich empfand einen Schwindel und stürzte in einen Zustand der Auflösung. Aus diesem Zustand tauchte ich wieder auf und fand mich auf einer sehr unebenen und doch glatten Oberfläche. Es war eine leuchtende grenzenlose Fläche, ähnlich wie die Ebene, die ich zuvor erschaut hatte. Sie erstreckte sich, soweit ich sehen konnte. Bald darauf entdeckte ich, daß ich meinen Kopf nach Belieben horizontal in jede Richtung drehen, nicht aber an mir hinunterschauen konnte. Ich war aber fähig, die Umgebung zu untersuchen, indem ich meinen Kopf von links nach rechts und zurück kreisen ließ. Trotzdem konnte ich, wenn ich mich umdrehen und hinter mich schauen wollte, mein schieres Körpergewicht nicht von der Stelle rühren.
    Die Ebene erstreckte sich in monotoner Endlosigkeit nach links wie nach rechts. Es war nichts zu sehen außer einem endlosen weißlichen Leuchten. Ich wollte den Boden unter meinen Füßen betrachten, aber ich konnte die Augen nicht nach unten richten. Ich hob den Kopf und blickte zum Himmel auf. Ich sah nur eine weitere grenzenlose weißliche Fläche, die mit jener, auf der ich stand, verbunden zu sein schien. Dann befiel mich eine Art Vorahnung, und ich wußte, daß mir etwas offenbart werden sollte. Aber der plötzliche verheerende Schock der Auflösung unterbrach meine Offenbarung. Eine Kraft zog mich nach unten. Es war, als ob die weißliche Oberfläche mich verschluckte. Nestor sagte, meine Vision einer Kuppel sei von ungeheurer Bedeutung, weil Genaro und der Nagual gerade diese Form als die Vision jenes Ortes bezeichnet hatten, wo wir alle eines Tages mit ihnen Zusammensein sollten.
    Jetzt sprach Benigno mich an und sagte, er habe gehört, wie Eligio den Auftrag erhielt, diese Kuppel zu finden. Er sagte, der Nagual und Don Genaro hätten sich große Mühe gegeben, damit Eligio den Auftrag richtig verstand. Sie hätten Eligio stets für den Besten von ihnen gehalten; daher hätten sie ihn angeleitet, diese Kuppel zu finden und immer wieder in ihre weißlichen Gewölbe einzugehen. Pablito sagte, sie seien alle drei unterwiesen worden, diese Kuppel zu finden, falls sie es könnten, aber es sei keinem von ihnen gelungen. Ich beklagte mich, daß weder Don Juan noch Don Genaro mir gegenüber jemals dergleichen erwähnt hätten. Sie hatten mir keinerlei Anleitung wegen einer Kuppel gegeben. Benigno, der mir gegenüber am Tisch saß, stand plötzlich auf und kam zu mir. Er setzte sich links neben mich und flüsterte mir ganz leise ins Ohr, es sei doch möglich, daß die beiden Alten mich wohl instruiert hatten und ich mich nur nicht daran erinnerte oder daß sie nichts darüber gesagt hatten, damit ich, falls ich sie einmal fände, nicht meine Aufmerksamkeit darauf fixierte. »Warum war die Kuppel so wichtig?« fragte ich Nestor. »Weil der Nagual und Genaro jetzt dort sind«, antwortete er. »Und wo ist diese Kuppel?« fragte ich. »Irgendwo auf dieser Erde«, sagte er.
    Ich mußte ihnen umständlich erklären, daß ein Bauwerk von solchen Ausmaßen unmöglich auf unserem Planeten existieren könne. Meine Vision, sagte ich, sei eher wie ein Traum gewesen, und Kuppeln von solcher Höhe könnten nur in Phantasien existieren. Sie lachten und klopften mir freundlich auf die Schulter, als wollten sie ein Kind besänftigen.
    »Du willst wissen, wo Eligio ist», sagte Nestor ganz unvermittelt. »Also, er ist in den weißen Gewölben dieser Kuppel, beim Nagual und Genaro.«
    »Aber diese Kuppel war eine Vision«, protestierte ich. »Dann ist Eligio in einer Vision«, sagte Nestor. »Erinnere dich daran, was Benigno dir eben gesagt hat. Der Nagual und Genaro haben dir

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