Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft

Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft

Titel: Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
Vom Netzwerk:
sie sei sicher gewesen, daß keiner von uns überleben würde, und deshalb habe sie ihren Schwestern, dem Haus und den Bergen schon Lebewohl gesagt.
    »Der Nagual sagte, falls wir beide, du und ich, den Angriff der Verbündeten überleben sollten«, fuhr sie fort, »müsse ich alles für dich tun, denn das sei mein Weg als Kriegerin. Das war auch der Grund, warum ich eingriff, als Benigno gestern abend etwas mit dir machte: Er drückte mit den Augen gegen deine Brust. Das ist seine Kunst als Pirscher. Und gestern im Lauf des Tages sahst du Pablitos Hand; das war auch ein Teil dieser Kunst.«
    »Was ist das für eine Kunst, Gorda?«
    »Die Kunst des unsichtbar Pirschens. Dies war die Vorliebe des Nagual, und die Genaros sind darin seine echten Kinder. Wir dagegen sind Träumer. Dein Doppelgänger träumt.« Was sie mir da eröffnete, war mir ganz neu. Ich wollte, daß sie es mir weiter erläuterte. Ich machte eine Pause und überlas noch einmal meine Aufzeichnungen, um die richtige Frage zu formulieren. Ich sagte ihr, ich würde erstens gern erfahren, was sie über meinen Doppelgänger wisse, und dann wollte ich mehr über die Kunst des Pirschens wissen.
    »Der Nagual sagte mir, ein Doppelgänger ist etwas, das sehr viel Kraft braucht, um hervorzukommen«, sagte sie. »Er meinte, du hättest vielleicht genug Energie, um ihn zweimal aus dir hervortreten zu lassen. Darum hat er Soledad und die Schwesterchen angewiesen, dich entweder zu töten oder dir zu helfen.« La Gorda fuhr fort und sagte, ich hätte mehr Energie gehabt, als der Nagual vermutete, denn mein Doppelgänger sei dreimal hervorgekommen. Anscheinend war Rosas Angriff kein gedankenloses Tun gewesen; im Gegenteil, sie hatte ganz schlau kalkuliert, daß ich, wenn sie mich verletzte, hilflos gewesen wäre: die gleiche List hatte Dona Soledad mit ihrem Hund versucht. Als ich Rosa anbrüllte, gab ich ihr Gelegenheit, mich zu treffen, aber es gelang ihr nicht, mich zu verletzen. Statt dessen kam mein Doppelgänger hervor und verletzte sie. La Gorda sagte, Lidia habe ihr berichtet, daß Rosa nicht aufwachen wollte, als wir fluchtartig Dona Soledads Haus verlassen mußten, und darum hatte Lidia Rosas verletzte Hand gequetscht. Rosa empfand keinerlei Schmerz und wußte augenblicklich, daß ich sie geheilt hatte, was für sie aber bedeutete, daß ich meine Kraft verausgabt hatte. Die Schwesterchen, meinte la Gorda, hätten sehr schlau geplant, meine Kraft zu verausgaben. Zu diesem Zweck hatten sie verlangt, ich solle Soledad heilen. Sobald Rosa erkannte, daß ich auch sie geheilt hatte, glaubte sie, ich hätte mich heillos geschwächt. Jetzt brauchten sie nur noch auf Josefina zu warten, um mir den Rest zu geben.
    »Die Schwesterchen wußten nicht, daß du, als du Rosa und Soledad heiltest, deine Kraft auch wiederherstelltest«, sagte la Gorda und lachte, als hätte sie einen guten Witz gemacht. »Deshalb hattest du genug Energie, um deinen Doppelgänger ein drittes Mal hervorzubringen, als die Schwesterchen versuchten, dir dein Leuchten zu rauben.«
    Ich erzählte ihr von meiner Vision, in der ich Dona Soledad vor der Wand ihres Zimmers kauern sah; und wie diese Vision auch meinen Tastsinn einbezogen hatte, so daß ich schließlich jene klebrige Substanz an ihrer Stirn spüren konnte.
    »Das war echtes Sehen«, sagte la Gorda. »Du sahst Soledad in ihrem Zimmer, obwohl sie mit mir in Genaros Haus war, und dann sahst du dein Nagual an ihrer Stirn.«
    Jetzt sah ich mich genötigt, ihr mein ganzes Erlebnis in allen Einzelheiten zu berichten, besonders meine Erkenntnis, daß ich tatsächlich Dona Soledad und Rosa heilte, indem ich die klebrige Substanz, die ein Teil von mir war, berührte.
    »Daß du dieses Zeug an Rosas Hand sahst, war ebenfalls echtes Sehen« sagte sie. »Und du hast völlig recht, diese Substanz, das warst du selbst. Sie kam aus deinem Körper, und sie war dein Nagual. Indem du sie berührtest, zogst du sie in dich zurück.«
    Dann berichtete la Gorda in einem Ton, als eröffne sie mir ein Geheimnis, der Nagual habe ihr befohlen, mir nur ja nicht die Tatsache zu verraten, daß ich, wenn mein Nagual einen von ihnen berührte - da wir alle die gleiche Leuchtkraft hatten -, nicht geschwächt werden würde, wie es sonst der Fall wäre, wenn mein Nagual einen gewöhnlichen Menschen berührte.
    »Wenn dein Nagual uns berührt«, sagte sie und gab mir einen leichten Schlag auf den Kopf, »bleibt dein Leuchten an der Oberfläche. Du kannst es wieder

Weitere Kostenlose Bücher