Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft
das Gleichgewicht zu wahren und nicht vom Weg abzukommen.
Ich fing an zu pfeifen und der Druck in meiner Nabelgegend ließ nach. La Gorda lächelte und seufzte erleichtert, und die Schwesterchen ließen von mir ab, kichernd, als ob alles nur ein Spaß gewesen wäre. Ich wollte mich schon irgendwelchen tiefsinnigen Spekulationen über den abrupten Wechsel von dem recht angenehmen Gedankenaustausch mit la Gorda zu dieser unheimlichen Situation hingeben. Eine Weile grübelte ich darüber nach, ob das ganze nicht vielleicht eine List der Frauen sei. Aber ich war zu schwach. Ich war nah vor einer Ohnmacht. Meine Ohren summten. Die Spannung in meinem Bauch war so stark, daß ich meinte, mich auf der Stelle übergeben zu müssen. Ich stützte meinen Kopf auf die Tischkante. Doch nach ein paar Minuten war ich entspannt genug, um wieder aufrecht zu sitzen. Die drei Mädchen hatten anscheinend vergessen, wie verängstigt sie eben noch gewesen waren. Ja, sie lachten und schubsten einander, während jede ihren Schal um ihre Hüften schlang. La Gorda wirkte weder nervös noch entspannt.
Rosa wurde irgendwann von den anderen beiden geschubst und fiel von der Bank, auf der wir alle drei gesessen hatten. Sie landete auf ihrem Gesäß. Ich glaubte, sie würde wütend werden, aber sie kicherte. Ratsuchend schaute ich la Gorda an. Sie saß mit steif durchgestrecktem Rücken da. Ihre Augen waren halb geschlossen und auf Rosa fixiert. Die Schwesterchen lachten laut, wie nervöse Schulmädchen. Lidia schubste Josefina, die über die Bank stolperte und neben Rosa stürzte. In dem Moment, als Josefina auf dem Boden landete, hörte das Gelächter auf. Rosa und Josefina schüttelten sich, wobei sie mit dem Gesäß merkwürdige Bewegungen ausführten; sie bewegten es hin und her, als wollten sie etwas auf dem Boden verreiben. Dann sprangen sie wie zwei lautlose Jaguare auf und packten Lidia an den Armen; Alle drei wirbelten ohne das leiseste Geräusch ein paarmal herum. Rosa und Josefina hoben Lidia an den Achseln hoch und trugen sie, auf Zehenspitzen schleichend, zwei oder dreimal um den Tisch. Dann klappten sie alle drei auf einmal zusammen, als ob ihre Kniegelenke gleichzeitig nachgegeben hätten. Ihre langen Kleider blähten sich und gaben ihnen das Aussehen von riesigen Kugeln.
Kaum waren sie am Boden, da wurden sie noch lautloser. Während sie umherrollten und krabbelten, war nichts andres zu hören als das unmerkliche Rascheln ihrer Kleider. Es war als ob ich einen dreidimensionalen Film mit abgeschaltetem Ton betrachtete.
La Gorda, die still neben mir gesessen und die Szene beobachtet hatte, stand plötzlich auf und hüpfte mit der Gewandtheit eines Akrobaten zur Tür nach dem Zimmer der Mädchen, die sich im Winkel der Eßecke befand. Bevor sie die Tür erreichte, stürzte sie auf ihre rechte Seite und Schulter, überschlug sich einmal, stand dann, getrieben vom Schwung ihres Überschlags, wieder auf und riß die Tür auf. All diese Bewegungen führte sie völlig lautlos aus. Die drei Mädchen rollten und krabbelten wie riesige Käfer ins Zimmer. La Gorda winkte mich zu sich heran. Wir traten ins Zimmer und sie wies mich an, mich mit dem Rücken gegen den Türrahmen auf den Boden zu setzen. Sie setzte sich zu meiner Rechten, den Rücken ebenfalls gegen den Türpfosten gestützt. Sie hieß mich meine Finger verschränken und drückte meine Hände gegen meinen Nabel.
Anfangs war ich gezwungen, meine Aufmerksamkeit zwischen la Gorda, den Schwesterchen und dem Zimmer zu teilen. Doch als la Gorda mich in besagte Sitzhaltung gebracht hatte, fesselte das Zimmer meine ganze Aufmerksamkeit. Die drei Mädchen lagen in der Mitte eines großen, weiß getünchten, quadratischen Zimmers mit Ziegelfußboden. Es gab vier Gaslaternen, je eine an jeder Wand, die auf eingemauerten Simsen, etwa zwei Meter über dem Boden standen. Das Zimmer hatte keine Decke. Die Dachbalken waren geschwärzt, was den Eindruck eines gewaltigen, nach oben offenen Raumes bewirkte. Die zwei Türen befanden sich genau an gegenüberliegenden Ecken. Als ich die verschlossene Tür gegenüber betrachtete, stellte ich fest, daß die Wände des Zimmers nach den Himmelsrichtungen ausgerichtet waren. Die Tür, wo ich mich befand, bildete die nordwestliche Ecke. Rosa, Lidia und Josefina rollten einige Male im Gegensinn des Uhrzeigers im Zimmer herum. Angestrengt lauschte ich auf das Rascheln ihrer Kleider, aber es herrschte völlige Stille. Ich hörte nur la Gordas Atem.
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