Don Juan de la Mancha
ich erst im letzten Moment anziehen durfte, um sie nicht vorab schon wieder zu zerknittern, sie band mir eine Krawatte um, die sie »Selbstbinder« nannte.
Besondere Hoffnungen setzte sie in Diplomkaufmann Hollmann. Onkel Hermann. Er hatte einen Sohn in meinem Alter. Ein Mann, der selbst ein Kind mitbrachte, flößte meiner Mutter Vertrauen ein. Von ihm meinte sie, in ihrer Alleinerzieherexistenz verstanden zu werden. Da hättest du gleich einen Bruder, sagte Mutter zu mir. Wolltest du nicht immer schon einen Bruder? Und wieder: Wäre das nicht schön, einen Bruder zu haben? Ja. Nein. Weiß nicht. Mutter versuchte in mir ein Bedürfnis zu wecken, um dann, mit dessen Befriedigung, ihren eigenen Profit zu machen. Guter Trick. Wie aus der Werbung. Darum spricht man ja auch in Liebesdingen von Werben. Und wie sie warben! Zum ersten Mal sah ich zwischen Mann und Frau und von Mann und Frau gegenüber Kindern Exzesse der Selbstdarstellung. Mutter wollte einen Mann. Einen richtigen Mann. Onkel Hermann war ein richtiger Mann, ein Herr, weil er in seinen Geschäften erfolgreich war, sehr wohlhabend, und weil er nie einen Zweifel daran ließ, dass er wusste, was er wollte. Er hätte meiner Mutter etwas bieten können. Er sagte es selbst. Und Mutter war bereit, sich von ihm etwas bieten zu lassen. Von diesem Mann, der wusste, was er wollte. Er wollte meine Mutter. Eine Mutter für seinen Sohn Harald. Eine Gemahlin, die sein Privatleben auf eine Weise verwaltete, dass es zugleich in seinen Geschäftskreisen herzeigbar war. Ein Ersatz für die Frau, die ihn, wie er erzählte, viel zu früh verlassen hatte. Ich wagte die Zwischenfrage: Warum? Eine Frauenkrankheit, sagte er. Ich verstand nicht, sagte aber nichts mehr, als ich Mutters Blick sah. Meinte er, dass es eine Frauenkrankheit sei, ihn zu verlassen? Aber wenn er sie schon so geliebt hat, warum versucht er sie nicht zurückzuholen und lässt meine Mutter in Ruhe? Später begriff ich, dass seine Frau gestorben war. Er habe bis zum Ende zu ihr gehalten, sagte er, auch als sie keine vollwertige Mutter für Harald mehr sein konnte.
Harald zeigte auf – im Gastgarten eines Restaurants, am Tisch mit seinem Vater zeigte er auf! Noch dazu so pedantisch: Er hob die Hand mit zwei ausgestreckten Fingern! Sein Vater nickte ihm zu, und er fragte, ob er auf die Toilette gehen dürfe.
Natürlich! Geh nur!
Wollt ihr zwei nicht ein bisschen herumlaufen?, sagte Mutter. Muss ja langweilig sein für euch, immer bei uns am Tisch zu sitzen.
Ja, sagte ich und stand auf.
Aber nicht wild, sagte Herr Hollmann. Und kein Geschrei!
Harald nickte. Auch bei ihm war mir klar, was er wollte, was sein Interesse war bei diesen Werbeabenden. Alles, was möglicherweise dazu geeignet war, die alleinige Kuratel seines Vaters zu brechen oder zumindest aufzuweichen, musste ihm als Verbesserung seines Lebens erscheinen.
Alle wussten, was sie wollten. Ich wusste nur, was ich nicht wollte. Die Hollmanns. Die Vorstellung, mit diesem Mann unter einem Dach zu leben, die Vorstellung, dass ihm das Recht eingeräumt wird, mir etwas anzuschaffen, war ein Albtraum. Diese Art von Mann kannte ich bis dahin nicht: so streng, dass er nicht einmal bei sich selbst eine Ausnahme machte. Alles an ihm wirkte teuer, sein Anzug, seine Krawatte, seine Uhr, seine Manschettenknöpfe, seine Schuhe, aber doch hatte man das Gefühl, dass dieser Mann sich nichts gönnte. Er fühlte sich zu dem edlen Tuch, zu der goldenen Uhr, zur seidenen Krawatte verpflichtet und gehorchte der Pflicht. Er bestellte Hummer. Aber genoss ihn nicht. Es war eine Werbemaßnahme: Meine Mutter sollte sehen, was er ihr bieten konnte, und dann demonstrierte er Hummerverzehr-Kenntnis. Wenn meine Mutter kicherte beim Versuch, eine Hummerschere zu knacken, lächelte er gequält. Und doch irgendwie stolz – er hatte sie in eine fremde Welt entführt und beeindruckt. Wenn ich heute an ihn denke, sehe ich ihn gebeugt von der Last und verkniffen von der Anstrengung, die es bedeutet, immer neue fremde Welten aufzutun, nur um die Menschen in der vertrauten Welt zu beeindrucken. Für uns Kinder bestellte er, ohne nach unseren Wünschen zu fragen. An diesem Hummer-Abend zum Beispiel Gundel-Palatschinken. Nicht einfach Palatschinken, sondern Gundel-Palatschinken. Da war er wieder demonstrativ nobel – und doch war es auch nur die höfliche Einleitung für ein daraus folgendes herrisches Auftreten.
Die stehen nicht auf der Karte, sagte der Kellner.
Aber in der Küche
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