Don Juan de la Mancha
wurden Träume wahr. Da ich damals keine Gelegenheit ausließ, hatte sie immer recht. Die Kaps war ein Albtraum.
Dennoch erzählte ich Christa sofort meinen Traum. Er war einfach noch da. Ich hatte bis halb zwölf geschlafen, dann geduscht, ohne dass ich den Traum wegspülen hätte können, und war sofort zur Mittagsverabredung mit Christa gefahren. Gemeinsam Mittag zu essen, das wurde Christa wichtig. Unsere Treffen seien sonst gar so abgebrüht und entfremdet, meinte sie. Also bestellten wir Austern und Brot und Weißwein ins Hotelzimmer.
Christa drückte eine halbe Zitrone und träufelte den Saft schwungvoll über die Austern, ich spürte die Säure auf meiner Haut, wenn sie mich dann berührte. Sie lachte. Ich war neidisch auf ihre gute Laune.
Ich hatte einen Traum, sagte ich. Ich saß in einem dunklen Raum, halbdunkel, Dämmerzustand. Es war ein Wartesaal. Da waren auch andere, aber ich war der Einzige, der ruhig dasaß. Die anderen waren durchaus geschäftig. Dennoch hatte ich keinen Zweifel, dass wir uns in einem Wartesaal befanden. Ich beneidete die anderen, dass es ihnen so gut gelang, die Wartezeit zu überbrücken. Andererseits fand ich es bestürzend sinnlos. Das Einzige, was zählte, war doch, endlich aufgerufen zu werden. Ich saß und wartete sehr geduldig. Dann ging eine Tür auf, und ich wurde aufgerufen. Durch die offene Tür fiel ein weiß strahlendes, blendendes Licht, in dem nichts zu sehen war als ebendieses Licht. Ich ging durch die Tür, hinein in das Licht und hörte eine Stimme. Die Stimme sagte nur einen Satz – worauf mich großes Glücksgefühl erfasste und ich dachte: So einfach ist es also! Ich hätte es mir denken können! So einfach ist es. Ich bin nahe dran gewesen, aber jetzt war es klar: So ist es wirklich.
Dann wachte ich auf. Ich war verwirrt, aber zugleich unendlich glücklich. Ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich ich war. Ich blinzelte, zögerte den Zustand hinaus, hielt mir nochmals den Traum vor Augen. Ich konnte mich perfekt an alles erinnern, an das dunkle Zimmer, die Tür, das Licht, die Stimme, an meinen Gedanken »So einfach ist es also!«, nur eines hatte ich vergessen: den Satz.
Christa lachte auf. Sie schlürfte eine Auster, wiegte vergnügt den Kopf und sagte: Es kann keine Erinnerung an diesen Satz geben, so wie es keine Erinnerung an den Tod geben kann.
Ich fragte mich, warum ich, solange ich Christa regelmäßig in der »Spinne« traf, überhaupt noch zu Hannah ging.
Warum?, fragte ich.
Warum glaubst du, dass wir träumen können, aus großer Höhe herunterzufallen? Im Traum können wir unendlich lang fallen. Aber noch keiner hat jemals träumen können, dass er schließlich am Boden aufschlägt. Warum? Weil jeder schon einmal aus ein oder zwei Meter Höhe heruntergesprungen ist. Diese Erfahrung eines Bruchteils einer Sekunde können wir im Traum endlos verlängern. Aber keiner, der noch träumen kann, hat erlebt, wie er aus großer Höhe schließlich auf dem Boden aufprallt, sodass alle Knochen brechen, die Organe reißen, die Haut platzt. Und weil man das auch nicht bloß ein bisschen erleben kann, um es dann im Traum zu multiplizieren, können wir es nicht träumen. Das ist der Moment, wo wir statt Bildern Sätze träumen.
Ich habe einmal in Frankreich Austern gegessen, sagte Christa, die waren so frisch, dass sie gezuckt haben, wenn man einen Tropfen Zitrone auf sie geträufelt hat.
Der Satz, den du geträumt hast, war: Du bist tot. Und jetzt sind all deine Probleme gelöst.
Ich schaute sie an.
Oder der Satz lautete: Du hast, wenn man von deiner Geburt weg zurückdenkt, eine Ewigkeit nicht gelebt und du wirst nach deinem Leben ewig tot sein – kein Grund, diese kurze begrenzte Zeit zwischen Ewigkeit und Ewigkeit zu dramatisieren. Ich kann mir vorstellen, dass dieser Satz einem das Gefühl größter Klarheit, ja von unermesslichem Glück gibt. Aber wir müssen ihn vergessen, sonst können wir nicht leben.
Ich schaute sie an.
Sie stellte das Tablett neben das Bett, sagte: Komm!
Schau nicht so verwirrt, sagte sie. Das ist klassische Bildung. Das alles haben vor langer Zeit Menschen gedacht, die es bereits geschafft haben.
Was geschafft?
Zu sterben. Tot zu sein. Komm jetzt! Im Leben zählt nur der kleine Tod.
Eine Stunde später, als Christa sich anzog, sagte sie: Jetzt weiß ich den Satz aus deinem Traum. Hör zu und vergiss ihn nicht gleich wieder!
Sie schaltete die Deckenbeleuchtung ein und sagte theatralisch: Hier ist das Licht. Und
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