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Don Juan de la Mancha

Don Juan de la Mancha

Titel: Don Juan de la Mancha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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Harald immer noch da oben, schaute, dann machte er einen Schritt, schaute, legte sich plötzlich hin und machte mir die Roulade nach. Als er unten angekommen war und aufstand jauchzte er. Das war der einzige Moment, in dem ich ihn mochte.
    Noch einmal! Wir kletterten wieder hinauf. Als wir oben schnaufend und lachend angekommen waren, standen plötzlich sein Vater und meine Mutter vor uns. Herr Hollmann sah den kleinen Hollmann an, die Grasflecken auf seinem Anzug, Herr Hollmann machte eine kreiselnde Bewegung mit seinem Zeigefinger, und wie eine Puppe drehte sich der kleine Hollmann, während der Vater streng die Beschädigung des Anzugs von allen Seiten begutachtete, und als der Sohn die Drehung vollendet hatte und wieder von Angesicht zu Angesicht seinem Vater gegenüberstand, bekam er eine Ohrfeige, die wie ein Schuss klang, das Wild ging zu Boden, erlegt, wäre fast den Abhang wieder hinuntergerollt.
    Harald rappelte sich hoch. Er hat mich runtergestoßen, sagte er. Er! Und zeigte auf mich. Bitte, Papa! Nathan ist schuld!
    Das verstand ich nicht. Die Ohrfeige hatte er schon. Es machte nichts rückgängig, wenn er mir die Schuld gab. Nein, das war kein Bruder.
    Herr Hollmann sah mich an. Mutter nahm mich an der Hand und sagte: Ich habe Mitleid mit deinem Sohn. Aber vor dir schützen kann ich nur meinen Sohn.
    Sie drehte sich um und ging weg, zerrte mich hinter sich her. Dann fanden wir in den Gleichschritt. Wir liefen und irgendwann hüpften wir im Laufen. Wir sahen nicht zurück. Irgendwann lachte sie. Schüttelte den Kopf. Wir hielten uns an den Händen, schwenkten die Arme. Im Hotel bestellte sie sofort ein Taxi. Die Koffer hatten wir in drei Minuten gepackt. Im Taxi sagte sie: Wenn er seinen eigenen Sohn schlägt, dann wird er auch dich schlagen!
    Ich habe Harald nicht gestoßen, sagte ich.
    Ein paar Wochen später fragte ich Mutter, wieso Hollmann »zu Gott gerufen« wurde. Wir hatten seine Todesnachricht erhalten.
    Es wird ihn niemand anderer mehr gerufen haben, sagte sie.
    Das war Hollmanns einziges Vergnügen gewesen: schnell Auto fahren. Manchmal fuhr er ohne Ziel, einfach so, ganz schnell. Vollgas. Wenn er ohne Ziel war, dann fuhr er ohne Ziel. Einmal hatte sich eines in den Weg gestellt.
    Seltsam, sagte Oma. Mir sind die Männer immer erst nach der Hochzeit gestorben.
    28.
    Er hatte einen Traum, den er – nein! Warum schreibe ich plötzlich in der dritten Person? Ich natürlich, ich hatte einen Traum, den ich noch schlafwarm Christa erzählte. Normalerweise vergesse ich Träume beim Aufwachen sofort. So soll es ja auch sein. Da funktionierte ich im Regelfall ganz brav. Dass ich nun einmal einen Traum nach dem Aufwachen nicht abschütteln konnte, war sehr befremdlich. Und ich selbst bin mir in diesem Traum so eigentümlich fremd gewesen – weil ich so objektiv ich war, dass ich mich geradezu als einen anderen sah. Schwer zu erklären. Ich war nicht »ich«, sondern »der Typus Ich«.
    In der Nacht davor war ich sehr spät ins Bett gegangen, im Morgengrauen, ich hatte schon die Vögel gehört. Manchmal bin ich so müde, dass ich nur noch dasitze, und werde dabei nicht müde genug, um schlafen zu gehen. Meine Frau war aus beruflichen Gründen in Mailand, sie muss in letzter Zeit sehr oft verreisen. Ich saß da, rauchte und trank, überlegte, ob ich noch ausgehen sollte, wenn ja, warum und wohin, und je länger ich die Möglichkeiten abwog – sollte ich jemanden anrufen?, wenn ja, was versprach ich mir davon?  –, desto antriebsloser wurde ich. Schließlich saß ich nur noch da und wartete. Auf das Bett.
    Der Traum. Zuvor ein Exkurs über Träume. Weniges langweilt mich so sehr wie die Träume anderer. Lese ich ein Buch, in dem ein Traum erzählt wird oder das Traumsequenzen enthält, dann überblättere ich die Seiten. Erzählt mir jemand einen Traum, dann werde ich sofort unsagbar müde, als hätte ich die ganze Nacht nicht geschlafen. Ich hatte einmal eine Freundin, die immer ihre Träume aufschrieb. Sie führte ein Traumtagebuch. Oder Nächtebuch. Sie hieß Anna. Anna Kapsreiter. Wie die Biermarke. Sie war entfernt mit der Braudynastie verwandt. Sie trank aber kein Bier, überhaupt keinen Alkohol. Sie schrieb ihre Träume auf, erzählte ihre Träume, interpretierte und diskutierte sie. Das war ihre größte Lust. Es langweilte mich entsetzlich. Wenn sie träumte, dass ich »fremdgegangen« war (so nannte sie es), hatte das dieselben Konsequenzen, als hätte sie mich auf frischer Tat ertappt. So

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