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Don Juan de la Mancha

Don Juan de la Mancha

Titel: Don Juan de la Mancha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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Großmutter nur so genannt wurde.
    Einmal traf ich Onkel Killer im Stiegenhaus. Hallo Nathan, wohin so eilig?
    Zigaretten holen für Mutti, sagte ich.
    Was raucht sie denn? Smart, oder?
    Ja.
    Pass auf, sagte er und nahm seinen Hut ab. Schau einmal, was ich da im Hut hab!
    Ich sah in seinen Hut und sagte: Nichts!
    Nichts. Richtig. Glaubst du, es wäre angenehm, einen Hut zu tragen, in dem dauernd was drinnen ist? Na eben. Aber jetzt pass auf. Es ist ein Zauberhut, sagte er und setzte den Hut wieder auf. Wenn man ganz fest an etwas Bestimmtes denkt, dann ist es plötzlich im Hut, es steigt sozusagen vom Kopf, wo der Gedanke ist, in den Hut auf und ist wirklich da. Warte!
    Er starrte vor sich hin, mimte Konzentration, sah dabei aus wie einer, der mit Verstopfung auf dem Klo sitzt.
    Nein, sagte er, so geht es nicht. Ich merke, dass du an etwas anderes denkst. Denkst du vielleicht an Filzstifte?
    Du hast mir welche versprochen. Ganz viele Farben.
    Ich habe sie vergessen. Nein, nicht vergessen, aber das Geschäft war schon zu. Aber das macht nichts. Ich halte meine Versprechen, und wenn die Geschäfte zu sind, dann habe ich ja meinen Hut.
    Er setzte mir seinen Hut auf. Sagte: Mach die Augen zu und denk ganz fest an viele bunte Filzstifte.
    Dann zog er den Hut von meinem Kopf – Augen auf! sagte er – und zog die Filzstifte aus dem Hut. Das machte er gleich nochmals mit den Zigaretten. Ich musste nur die Augen zumachen und fest an »Smart« denken. Ich liebte ihn. Ich musste nicht zum Zigarettenautomaten laufen, ging mit Onkel Killer zurück in die Wohnung, ein stolzer Zauberlehrling.
    Eine halbe Stunde später schrie Mutter: Lauf weg, Nathan, lauf!
    Ich weiß nur noch, dass da sehr viel Feuchtigkeit war. Die Lippen von Killer: so nass. Die Lippen meiner Mutter bluteten. Sie lag in einer Ecke des Zimmers. Meine Tränen. Durch den Tränenvorhang schien alles nass, der Teppich, auf dem eine umgeworfene Flasche lag, sogar der Gummibaum sah aus, als hätte es geregnet.
    Exkurs zu den Körpersäften. Nein, später!
    Zu den Nachbarn, Nathan! Lauf!
    Ich lief aus der Wohnung, läutete in unserer Etage bei allen Wohnungstüren, hörte den Schrei: Ich bring dich um!
    Als die Polizei kam, kniete er weinend vor meiner Mutter und sagte immer wieder: Ich liebe dich! Verstehst du nicht, ich liebe dich doch!
    Als er abgeführt wurde, schrie er meiner Mutter zu: Wenn ich rauskomm, hab ich dich! Weil’s wahr ist!
    Killer starb wenige Wochen später. Ein Streit in einem Vorstadtcafé. Verbotenes Glücksspiel. Vielleicht hatte er ein As aus dem Hut gezaubert. Oder ein Messer. Ich bring dich um! Der andere wurde wegen Notwehr freigesprochen. Killer war kein Profi. Er war ein Irrer.
    Ich weiß davon wegen der Todesnachricht, die Mutter und ich erhielten. Was bedeutet das: »Plötzlich von uns gegangen«?, fragte ich.
    Plötzlich bedeutet etwas anderes als überraschend, sagte Mutter, und Hauptsache: von uns gegangen!
    Der Nächste war Philipp. Er war Mutters Reitlehrer. Mutter liebte Pferde. Sie nahm Reitstunden und war dadurch den gemischten Liebesschicksalen etwas näher, die auf stilvollen Landsitzen spielten, wo das Glück sich bei Jagdgesellschaften oder Ausritten entschied. Er war so treu, so stark, so sensibel, Athos, der Rappe, den sie am liebsten ritt. Mutter schwärmte von ihm. Von seinem starken Leib, mit dem sie, wenn der Rhythmus stimmte, verschmolz, seiner Kraft, die zu zügeln und zu lenken ihr so großen Genuss bereitete. Ich saß wie ein Nachwuchscowboy am Rand der Koppel, sah Mutter zu und lernte viel über Pferde. Das Pferd ist, wie Mutter, ein Fluchttier. Da kann man nicht genug aufpassen. Eine unvorhergesehene Wendung im routinierten Ablauf konnte das Tier unbändig machen und eine Katastrophe auslösen. Wenn meine Mutter mit Onkel Philipp einen Ausritt machte, saß ich brav im Klubhaus und wartete, las inzwischen die neue Ausgabe vom »Glück der Erde«, der Zeitschrift des Verbands für Reitvereine.
    Philipp hatte auch einen Spitznamen. Im Gespräch mit Großmutter nannte Mutter ihn »Beschäler«. Durch mein geduldiges Studium des »Glücks der Erde« wusste ich, was ein Beschäler ist: So nennt man den Deckhengst. Aber ich zeigte nicht, dass ich wusste, was ein Beschäler ist. Ich war ein braver Sohn, und ein braver Sohn erfüllt jederzeit die in ihn gesetzten Erwartungen, zum Beispiel auch, dass er nicht verstand, wenn erwartet wurde, dass er nicht verstand. Und so ganz verstand ich den Spitznamen tatsächlich nicht.

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