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Don Juan de la Mancha

Don Juan de la Mancha

Titel: Don Juan de la Mancha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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steht ein Koch, sagte Herr Hollmann.
    Was sind eigentlich Gundel-Palatschinken?, fragte meine Mutter.
    Hollmann lächelte. Jetzt konnte er erklären.
    Ich ärgere mich darüber, dass ich damals nicht einfach sagte, ich hätte lieber ein Wiener Schnitzel. Aber das kam noch. Diplomkaufmann Hollmann war der erste Muttermann, gegen den ich mich auflehnte. Es begann damit, dass ich mich weigerte, weiterhin Onkel Hermann zu ihm zu sagen. Dann, dass ich mich dagegen wehrte, zu den Abenden mit ihm und Harald mitzukommen. Damals sagte ich, meines Wissens zum ersten Mal, stereotyp den Satz: »Ich habe keine Lust!« Kinder sagen diesen Satz leichthin, und ich möchte auch nichts überinterpretieren. Das ist Hannahs Aufgabe. Aber es ist doch eine Tatsache: Der Satz »Ich habe keine Lust« stand wie mit großen feuerroten Lettern an die Wand gemalt, auf der ich die Schatten meiner Kindheit sehe. Hannah machte manchmal dieses Spiel mit mir: Stellen Sie sich eine weiße Wand vor, Nathan. Starren Sie die Wand an. Sie bleibt nicht weiß. Es taucht ein Bild auf. Was sehen Sie?
    Nichts. Ich habe keine Lust. Doch, jetzt: Ich sehe einen Mann und eine Frau, die angestrengt glücklich ihr Unglück säen.
    Eines Tages war Mutter vor Aufregung unerbittlich: Ein Wochenende mit den Hollmanns im noblen Hotel Panhans am Semmering. Nicht bloß ein Abendessen. Ein ganzes Wochenende. Man wird sich näherkommen. Man wird alles besser beurteilen können. Man wird zu einer Entscheidung finden.
    Ich habe keine Lust.
    Mutter erlaubte nicht, dass ich ein ganzes Wochenende allein zu Hause bliebe. Ein Abend, gut und schön. Aber nicht ein Wochenende. Ich rief meinen Vater an. Ob ich am Wochenende bei ihm – unmöglich. Er musste nach Cannes.
    Später war ich froh, dass ich mitmusste. Es beendete diese Affäre.
    Man nahm nach der Ankunft im Hotel einen Imbiss. Man zog sich in die Zimmer zurück, um sich frisch zu machen und für eine kleine Wanderung vorzubereiten. Man wanderte. Leider gibt es kein Foto davon: Hollmann in einem englischen Tweedanzug mit Knickerbockerhosen und Maßschuhen mit gebirgstauglichem Profil. Harald als seine Kopie im Maßstab eins zu drei. Harald durfte einen Rucksack tragen, in dem Erfrischungen verstaut waren. Meine Mutter in einer alten Keilhose, die sie von einem früheren und bis dahin einzigen Schiurlaub hatte. Ich in einer Lederhose. Eigentlich war, wenn man uns vier nebeneinander sah, schon alles klar. Hollmann pfiff seinen Sohn herbei, entnahm dem Rucksack eine Wanderkarte. Er hatte an alles gedacht. Er wusste auch, welche Farbe der Markierungen für uns maßgeblich war. Wir folgen den blauen Markierungen, sagte er. Er war gut gelaunt. Das Frischmachen hatte ihn frisch gemacht. Das hielt eine Stunde. Dann passierte Folgendes. Ich lief mit Harald voraus. Ich mochte Harald nicht. Er war für mich ein lächerliches Duplikat seines Vaters. An ihm sah ich, wozu sein Vater fähig war. Vielleicht tat ich ihm unrecht. Er war ein Opfer. Ein Kind mit nur einem Elternteil wie ich, aus besseren Verhältnissen, nicht so kleinbürgerlichen jedenfalls, aber nicht einmal mit mehr Taschengeld. Er hatte ein eigenes Zimmer, aber in der Wohnung eines engstirnigen, harten Mannes, während ich kein eigenes Zimmer hatte in der Wohnung einer kitschigen Priesterin romantischer Ideale. Ich konnte meiner Mutter alles sagen, er musste seinem Vater alles verschweigen und dann gestehen. Ich sollte glücklich sein. Er sollte perfekt sein. Wir sind wahrscheinlich beide gescheitert. Aber genau an dieser Bruchstelle scheiterte an diesem Tag das Projekt, aus mir einen Hollmann zu machen. Wir liefen. Da war ein Abhang, dreißig oder vierzig Meter abwärts, und dann ein Gegenhang. Ich legte mich hin und ließ mich runterrollen. Es war ein Genuss. Ich rollte, rollte immer schneller, Bodenunebenheiten lüpften mich hoch, ich fiel wieder weiterrollend ins weiche Gras, ich streckte die Arme, machte mich ganz steif, rollte und wirbelte hinunter in die Mulde, gestoppt vom Gegenhang. Ich stand auf, winkte Harald zu: Komm, mach das auch! Er stand oben am Weg, schaute herunter, rührte sich nicht. Ich winkte ihm zu: komm! Er schaute.
    Ich stieg den Hang wieder hinauf, verlor manchmal das Gleichgewicht und fiel und rollte wieder zurück, hielt mich an Grasbüscheln fest, zog mich hoch, kam schließlich oben an und sagte zu Harald: Das macht Spaß! Oder etwas Ähnliches, legte mich gleich wieder hin, machte mich steif und ließ mich rollen. Als ich unten war, stand

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