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Don Juan de la Mancha

Don Juan de la Mancha

Titel: Don Juan de la Mancha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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Den Gesprächen von meiner Mutter mit meiner Großmutter entnahm ich, dass der Beschäler sozusagen ausschlug. Mutter wollte reiten, aber sie wollte nicht unbedingt, was der Reitlehrer wollte. Mutter sagte zu Oma: Er ignoriert völlig das Fohlen. Ich verstand erst später, was sie meinte. Ich saß an der Koppel und sah zu. Man sieht beim Zuschauen nichts. Später hört man. Da war eine Reitstunde, in der Philipp völlig unzufrieden mit den Hilfen meiner Mutter war. Hilfen nennt man beim Reiten die Techniken, mit denen man dem Pferd Befehle gibt. Nun gab Philipp meiner Mutter sozusagen Hilfen, die sie offensichtlich irritierten. Ich saß da und sah zu. Im Grunde war es ein Gegrapsche. Du musst so sitzen, sagte er und griff meiner Mutter auf Rücken und Hintern. So!, sagte er und griff noch einmal zu. Der Reitlehrer liebte meine Mutter. Da war eine unglaubliche Aggression. Sie war so stark, dass ich gar nicht mehr hinsah und demonstrativ in das »Glück der Erde« starrte, wo ich allerdings nichts sah, kein Wort, kein Foto. Ich schaute so angespannt in diese Zeitschrift, dass ich nur mich selbst von außen sah, wie ich diese Zeitschrift las.
    Was heißt »verschieden«?, fragte ich meine Mutter, als wir die Todesnachricht des Reitlehrers bekamen, wieso ist Onkel Philipp verschieden?
    Er war nicht normal, sagte meine Mutter.
    Philipp hatte in die Stadt reiten wollen. Es gibt keinen Beweis dafür, aber ich bin heute sicher, er wollte zu Mutter. Ihr irgendetwas beweisen. Kühnheit. Todesmut. Die Radikalität seiner Liebe oder seine Verzweiflung. Ich weiß es nicht. Der Mann hatte ein Auto. Aber er sattelte das Pferd, gab ihm die Sporen und ritt hinein in den Sonnenuntergang. Er muss sehr betrunken gewesen sein. Pferde sind Fluchttiere. Eine Straßenbahn, ein Auto, ein Passant, der plötzlich die Straße überquert, kann ein Pferd panisch und unberechenbar machen. Philipp wurde von Athos abgeworfen und gegen eine Straßenbahn geschleudert. Frontal gegen den Triebwagen. Wie seltsam Mutter dieses Wort betonte, wenn sie später die Geschichte erzählte! Sie sagte nicht Straßenbahn, sie sagte Triebwagen, als müsste sie etwas Unappetitliches in den Mund nehmen, der Triebwagen habe Philipp das Genick gebrochen.
    Mutter hätte sich nie auf Dauer mit einem Mann eingelassen, der nicht akzeptierte, dass sie ein Kind hatte, oder auch nur zeigte, dass er damit nicht umgehen konnte. Man bekam Mutter nur im Paket mit mir. Sie nahm mich grundsätzlich zu jeder ersten Verabredung mit einem Mann mit, damit das klar war. Vielleicht verwendete sie mich auch als Schutzschild, um allzu schnelle Zudringlichkeit gar nicht erst zu ermöglichen. Jedenfalls war ich, wenn Mutter die Chemie ihrer Verehrer teste, gleichsam der Teststreifen. Der Test ging in der Regel nicht gut aus für die Männer. Aber ich bekam da wenig mit. Für mich war jeder Mann nur »wieder einer« – dem gegenüber, wie ich dachte, ich es war, der funktionieren musste, wohlerzogen, ohne ungeduldig zu quengeln, nur redend, wenn ich gefragt werde, das Besteck korrekt verwendend, Bescheidenheit zeigend, wenn ich gefragt werde, ob ich noch etwas wolle. Da hatte ich keine Augen mehr dafür, ob der Mann funktionierte. Für mich war er kein Testobjekt, sondern eine Instanz, und ich das Objekt.
    Ein Getränk ist genug, schärfte mir Mutter vorab nochmals ein. Wir werden uns nicht als maßlos und unbescheiden darstellen! Wie schnell ein Glas Apfelsaft ausgetrunken ist. Vor allem, wenn man sonst nichts zu tun hat. Willst du noch was, junger Mann? Noch einen Apfelsaft? Nein danke. Und wie lange dann so ein Abend noch dauerte. Vor allem, wenn man nichts mehr tun kann, nicht einmal mehr Apfelsaft trinken. Vielleicht trinke ich heute so viel, weil ich darf. Mutter machte viel Aufwand vor solchen Abenden. Sorgfältig machte sie sich schön. Das nannte sie so: »sich schön machen«. Ich fand sie ja immer schön, aber sie war dann wirklich noch schöner als an unseren gemütlichen Abenden. Allein die Stöckelschuhe statt der Wollsocken. Das hätte sie einmal machen sollen: nicht mich zu einer Verabredung mitnehmen, sondern ihre Socken. Und die Reaktion des Mannes testen.
    Gern hätte ich sie einmal in Netzstrümpfen gesehen. Und mit aufgeklebten Wimpern. Einmal sagte ich es. Sie lachte. Ich bin doch nicht so eine, sagte sie.
    Viel Aufwand trieb sie auch damit, mich schön zu machen. Mit Haaröl und heftigen Bürstenstrichen bezwang sie mein krauses Haar, sie bügelte meine gute Hose, die

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