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Don Juan de la Mancha

Don Juan de la Mancha

Titel: Don Juan de la Mancha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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Paket von ihr kommt.
    Das letzte Paket, das sie mir als Kind geschickt hatte, enthielt eine alte Remington-Schreibmaschine. »Du schreibst so schöne Briefe, lieber Nathan, und von Deiner Mutter höre ich, dass Du in der Schule tolle Aufsätze schreibst, die vorgelesen werden. Also habe ich mir gedacht, Du möchtest eine Freude haben mit einer Schreibmaschine.«
    Mutter musste die damals unfassbare Summe von zweihundertfünfzig Schilling für Zoll und Nachporto bezahlen. Tante Lia liebt dich, gut und schön, sagte Mutter, aber das geht zu weit.
    Ich glaube, ich hätte eine Freude gehabt mit dieser alten Schreibmaschine. Aber leider hatte das Farbband keine Farbe mehr.
    Soll ich das im Dankbrief schreiben, dass Tante Lia mir ein neues Farbband schicken soll?, fragte ich.
    Nein, sagte Vater. Dann wird sie wieder sagen: Liebe ist Geben und Nehmen, aber nicht Fordern!
    Er dachte kurz nach und sagte: Nein, doch, schreib ihr das. Vielleicht hört sie dann auf mit ihren Paketen. Und, er stutzte kurz, lächelte – schreib den Brief auf ihrer Schreibmaschine.
    27.
    Wie es sein muss, ein Mann und glücklicher Verführer zu sein, lernte ich von den Männern meiner Mutter nicht. Sie hatte viele Verehrer. Aber keiner war ein Vorbild.
    Mutter wurde oft von Männern angesprochen, auf der Straße, in einem Geschäft, im Kaffeehaus, in der Straßenbahn. Diese Männer sprachen Mutter als »Fräulein« an, wollten sie auf einen Kaffee einladen, mit ihr essen gehen, erflehten ihre Telefonnummer. Dann, nach kurzem Wortwechsel, immer dieses Erstaunen: »Ich kann es nicht glauben! Die Mutter? Ich habe gedacht, Sie sind die Schwester des jungen Mannes!« Meine Mutter fuhr mir durchs Haar oder nahm mich um die Schulter und lachte, der Mann sah mich an und lachte, und ich stand sekundenlang, unerträglich lang, im Mittelpunkt einer Liebesanbahnung, bei der es nicht um mich ging.
    Mutter nahm, zumindest in meiner Gegenwart, keine Einladungen an. Aber ich sah, wie sie sich über die Komplimente freute. Das Reh fühlte sich durch die Ambitionen der Jäger geehrt. Heute kann ich nicht verstehen, dass eine junge Frau sich darüber freuen kann, von einem schmierig lächelnden Mann für noch jünger, im Grunde für ein Kind gehalten zu werden. Und noch weniger kann ich verstehen, dass erwachsene Männer eine Frau zu verführen versuchten, die sie für ein Kind hielten, auch wenn sie dies nur vorschützten. Aber damals sah ich nur dies: wie Mutter sich freute, wenn sie als »Fräulein« angesprochen und für meine Schwester gehalten wurde. Wie sie lachte, ihr Lächeln glimmte noch Minuten später in ihrem Gesicht. Ich glaubte, einen Trick gelernt zu haben, wie man eine Frau glücklich machen konnte. Noch dazu die begehrenswerteste von allen, meine Mutter. Vom Sommerferienlager schickte ich ihr Ansichtskarten, in denen ich sie als »Fräulein« ansprach und die ich mit »Dein Dich liebender Sohn Nathan« unterschrieb. Ich sah sie vor mir, wie sie von der Arbeit heimkam, das Brieffach öffnete, meine Postkarte fand und ihr Glück (»Mein Sohn hat mir geschrieben!«) verdoppelt fand (»Und er nennt mich Fräulein!«). Wie glücklich diese Vorstellung mich selbst machte! Ich lebte im Gefühl, dass man es lernen konnte: glücklich zu machen – jemand anderen und dabei sich selbst. Schließlich schickte Mutter mir einen Brief, in dem sie, nach einigen Floskeln (»Ich hoffe, Du hast viel Spaß im Lager«) mich als »Idioten« bezeichnete und mir verbot, sie noch einmal »Fräulein« zu nennen. Noch dazu auf einer offenen Postkarte. Was soll sich der Briefträger denken?
    Aber die wirklichen Probleme entstanden durch die Männer, mit denen sie Verhältnisse hatte.
    Da war zunächst ein Herr namens Killer. Ich mochte ihn gern. Er brachte mir immer Geschenke mit, Plastilin oder Quartett-Karten, oder einfach nur einen kleinen Plastikindianer. Was tut der Indianer, fragte er, schlug mit der flachen Hand auf die Figur, als wollte er eine Fliege erschlagen, und sagte: Er spürt keinen Schmerz. Dann lachte er schallend und sagte: Weil es wahr ist! Er sagte bei jeder Gelegenheit lachend: Weil es wahr ist. Ich mochte sein Rasierwasser. Er war für lange Zeit der einzige Mutter-Mann, den ich auf die Wange küssen wollte, wenn er zu uns kam. Leider schrie er mit meiner Mutter: Ich bring dich um. Immer wieder schrie er: Ich bring dich um. Weil es wahr ist. Ich habe erst später begriffen, dass dieser Onkel nicht Killer hieß, sondern von meiner Mutter und meiner

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