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Don Juan de la Mancha

Don Juan de la Mancha

Titel: Don Juan de la Mancha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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raffiniert. Weil sie bloß die inneren Widersprüche des Professorenvortrags vorführten.
    Sie haben gesagt, dass.
    Dann haben Sie gesagt, dass.
    So ging das eine Weile, es bekam schließlich den Charakter eines Kreuzverhörs, in dem Professor Poppe sich immer mehr verstrickte. Er hatte sich darauf eingelassen und hatte nun keine Möglichkeit mehr, auf eine glaubwürdige Weise davonzukommen. Autoritär hätte er gleich am Anfang sein müssen, aber nun, da er bereits auf die Fragen von Franz eingegangen war, konnte er nur immer wieder auf Franz reagieren, mal überheblich, mal zynisch, aggressiv, herablassend, er versuchte alle möglichen Masken und stand am Ende ohne Gesicht da.
    Danke, keine weiteren Fragen, sagte Franz schließlich. Es gab Zeugen, die geschworen hätten, dass er am Ende »Euer Ehren« gesagt hatte. Das war es wohl, was Professor Poppe so hilflos gemacht hatte: Zum ersten Mal war er in diesen Nach-Achtundsechziger-Zeiten nicht mit einem aggressiven marxistischen Studenten konfrontiert gewesen, worauf er zum Gaudium der braven Studenten seine machtvollen antikommunistischen Abwehrraketen abfeuern konnte, sondern sah sich vorgeführt in einer Szene, die an eine Gerichtssaalszene in einem amerikanischen Krimi erinnerte.
    Danach standen die Studenten auf und gingen, als zöge sich das Gericht zur Beratung zurück.
    Im Korridor vor dem Seminarraum sprach ich Franz an. Er brauche jetzt einen Kaffee, sagte er. Wir gingen ins Café Votiv und redeten. Wir redeten lang.
    Franz war, wie ich rasch feststellte, im Grunde naiv, mehr noch: Er war so radikal willfährig, dass er nur deshalb wie ein Radikaler wirkte. Er hatte von zu Hause gelernt, dass ein braver Student sich durch Fragenstellen auszeichne und dadurch positiv auffalle. Er hatte seine Fragen an Professor Poppe als Streber gestellt und war dadurch zum Rebell geworden: weil ein autoritärer Professor bereits das bloße Fragenstellen als Ketzerei empfand. Als Franz mir erzählte, dass sein Vater Polizist sei, fragte ich mich, ob bei seinen Fragen an Professor Poppe vielleicht auch die Verhörtechniken seines Vaters durchgeschlagen hatten. Ich stellte mir vor, wie sein Vater nach einem anstrengenden Verhör abends nach Hause kam und bei der simplen Frage, was es zum Abendessen gebe, immer noch seinen Verhörton drauf hatte.
    Es gebe für jede Antwort eine Frage, habe sein Vater immer gesagt, so Franz. Das Leben, die ganze Realität bestehe nur aus Antworten. Der Täter ist die Antwort auf die Frage, wer es getan hat. Er ist da, er läuft herum, die Antwort ist da. Aber was fehlt und was man also finden muss, sind die Fragen, die ihn entlarven.
    In der darauffolgenden Woche begann Professor Poppe Franz zu drangsalieren.
    Vielleicht kann der Kollege ääh Vesely folgende Frage beantworten?
    Nein? Ich nehme zur Kenntnis, dass der Herr Kollege Vesely zwar jederzeit einfältige Fragen stellen, aber keine Fragen beantworten kann. Vielleicht könnte der Herr Kollege Frantisek Vesely die Tafel löschen und den Papierkorb ausleeren.
    Franz. Mein Name ist Franz Vesely.
    Also los, Franz! Tafel löschen! Ich bemühe mich ja immer, die verborgenen Talente und Fähigkeiten jedes einzelnen Studenten zu entdecken.
    Franz war kein Rebell. Aber das Aufeinanderprallen seines naiven Gerechtigkeitssinnes mit Professor Poppes Zynismus radikalisierte ihn. Er glühte vor Wut. Er zeigte auf die Tafel und sagte: Ich werde die Beweise Ihrer intellektuellen Dürftigkeit nicht löschen.
    Franz Vesely, sagte Professor Poppe, hiemit schließe ich Sie von diesem Seminar aus. Ich will Sie nächste Woche nicht mehr sehen.
    In der nächsten Woche saß Franz in der ersten Reihe, unmittelbar vor Poppes Tisch. Der Professor kam herein, sah Franz, stellte seine Tasche ab und sagte, dass sich eine unbefugte Person im Seminar befände, und er seinen Unterricht erst beginnen könne, wenn diese Person den Raum verlassen habe.
    Stille. Keine Bewegung.
    Also gut, sagte Professor Poppe, ich rufe auf: Franz Vesely.
    Franz stand auf.
    Verlassen Sie den Raum! Sonst sehe ich mich gezwungen, den Pedell zu rufen und Sie abführen zu lassen. In der Folge müssten Sie mit einer Relegation von der Universität rechnen.
    Es war so unerträglich, dass ich buchstäblich außer mir war. Ich sah mich aufstehen und hörte mich sagen: Mein Name ist Franz Vesely.
    Poppe schaute mich fassungslos an. Was jetzt? Ich hatte keine Ahnung. Ich spürte, wie ich brannte, Poppe suchte nach Worten, und in diesem Moment stand

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