Don Juan de la Mancha
ein Debakel, das Franz und ich zunächst als Triumph feierten, um es dann so schnell wie möglich zu vergessen. Vergessen kann man das nicht. Nicht mehr darüber reden, das geht. Dann ist Alice mit einem anderen Mann nach Paris gegangen. Alice hätte uns fast entmannt, hatte Franz damals gesagt.
Ich rauchte. Starrte das Telefon an. Den Zettel, auf dem mir Traude die Nummer von Alice notiert hatte. Die Tür. Sie war zu. Ich holte den Flachmann aus meinem Schreibtisch, nahm einen Schluck. Ein Blick zur Tür. Sie war zu. Ich rief an. Es tutete. Wenn ich sie in den nächsten drei Tagen nicht erreiche, dachte ich, dann soll doch Franz fliegen. Es tutete, ich räusperte mich in der Erwartung, eventuell auf ihren Anrufbeantworter sprechen zu müssen. Da hob sie ab. Sie sagte nur Oui, und ich erkannte sofort ihre Stimme. Ich hatte sie seit fast dreißig Jahren nicht mehr gesehen oder gesprochen.
Alice?
Oui!
Hier spricht Nathan.
Kein verblüfftes Schweigen.
Nathan! Rufst du an, weil ich dich noch immer nicht um Verzeihung gebeten habe?
Ihr Lachen ging in Husten über, dann: Wie geht es dir? Bist du noch immer mit Franz verheiratet?
Sie fand diese Frage so witzig, dass sie gleich wieder husten musste.
Ich hatte damals, in der Zeit mit Alice, »Gitanes« geraucht, so wie sie. Ich hätte Kautabak gekaut, wenn sie es getan hätte. Als sie weg war, stieg ich auf »Hobby« um. Franz bewältigte den Entzug von Alice, indem er überhaupt zu rauchen aufhörte.
Ich komme, sagte ich und saß schon wieder in der Falle. Aus Nervosität hatte ich seit dem Wählen ihrer Nummer den Atem angehalten, nun musste ich aufstöhnend Luft holen. Ich hatte bei Alice immer auf der Hut sein müssen, dadurch denkt man zu viel, beobachtet sich selbst und interpretiert, schon während man redet, vorauseilend jedes Wort, sogar jede Pause. Ich wollte sagen: Ich komme nach Paris. Ein unschuldiger Satz. Gegenüber Alice gab es keine Unschuld. Gesagt hatte ich: Ich komme, und dann gestöhnt. Wird sie mich der sexistischen Doppeldeutigkeit verdächtigen? Nach Paris, sagte ich schnell, nach Paris. Beruflich. Aber einen Abend hätte ich Zeit. Ich hätte Lust – verdammt, warum sagte ich Lust? Verbotenes Wort. Wie wird sie das verstehen? Ich meine, es wäre schön, wenn wir uns treffen könnten, reden, erzählen.
Bist du geblieben, so wie du warst, und nur älter geworden? Oder bist du im Alter eine andere geworden? Diese andere will ich sehen. So wie ich dich geliebt habe. Sagte ich nicht. Dachte ich. Als sie sagte: Ja, klar, treffen wir uns!
34.
I ch lernte Franz und Alice Mitte der siebziger Jahre im Institut für Publizistik kennen, im Seminar »Geistes- und Theoriegeschichte der Wirtschaftswerbung«. Es war eine jener Lehrveranstaltungen, die unmittelbar einsichtig machten, warum Absolventen des Publizistikstudiums einen »Weltfremd«-Stempel auf die Stirn, aber in der Regel keine Anstellungen bei einer Zeitung bekamen.
Professor Poppe hatte am Ende der Seminar-Veranstaltung »Noch Fragen« gesagt, er hatte es gesagt und nicht gefragt, es war eine Floskel, er erwartete keine Fragen. Wir nahmen dies wie immer als Zeichen, unsere Mitschriften einzupacken, als ein Student aufstand und sagte, ja, er hätte eine Frage. Er war etwas jünger als ich, Anfang zwanzig, aber er hatte bereits sehr schütteres Haar. Sein Haaransatz war weit nach hinten gerutscht. Ich kannte damals niemanden in diesem Alter, der so buchstäblich die Stirn zeigte, die Stirn hatte, wie er in diesem Moment. Das war Franz. Er stand da und stellte eine Frage, die nicht erwartet, schon gar nicht erwünscht war, andere Studenten, die bereits aufgestanden waren, setzten sich wieder, Professor Poppe stand da, seine bauchige, schwarze Kunstledertasche in der Hand, und gab eine kurze Antwort in einem Tonfall, der bedeutete: Gehen Sie heim lernen und stellen Sie keine blöden Fragen.
Franz war mit der Antwort gar nicht zufrieden und fragte nach. Professor Poppe stellte seine Tasche ab, man hatte den Eindruck, er tat es nur deshalb, um seine Hände frei zu haben, damit er Franz nun erwürgen konnte.
Franz blieb unbeeindruckt.
Sie haben gesagt, dass.
Wie vereinbaren Sie das damit, dass Sie zuvor gesagt haben, dass.
Verstehe ich das richtig, wenn.
Bedeutet das aber nicht, dass.
Mir liegen hier Daten aus einer Untersuchung der Wirtschaftskammer vor, die eindeutig zeigen, dass.
Steht das nicht im Widerspruch zu Ihrer Behauptung, dass.
Die Fragen waren naiv. Zugleich äußerst
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