Don Juan de la Mancha
beliebte Schauspieler, Politiker, berühmte Geschäftsmänner. Hier saß er seine Pension ab, das war seine Welt.
Alles bestens!, hatte Vater gesagt. Seine pergamentartige Gesichtshaut hatte glücklich geschimmert.
Wie war dein Blutbefund?
Man befand, mein Blut ist rot.
Ich meine die Werte.
Es gibt keine Werte, wenn man alt ist. Alter ist wertlos.
Was hat der Doktor gesagt?
Er hat mich gefragt, ob mir das Essen schmeckt. Es schmeckt mir. Der Wein auch.
Dafür hast du dich eine Woche lang ins Spital gelegt? Du bist ein Hypochonder!
Doktor Huber-Canossa sagt immer: Auch Hypochonder werden krank.
Und nun stand ich diesem Arzt gegenüber, diesem patinaüberzogenen Denkmal früher Wellnessmedizin, er nahm mit beiden Händen meine Rechte, hielt sie fest, und sagte: Ihr Vater hatte einen beneidenswert schönen Tod.
Er wisse, dass der Tod nichts Schönes sei, der Tod eines nahestehenden Menschen, gar des eigenen Vaters sei ein Schock, er verstehe das, aber in Anbetracht der Tatsache, dass der Tod unausweichlich sei, müsse man in diesem Falle doch von einem glücklichen Tod sprechen und Trost daraus beziehen. Mein Vater habe immerhin das achtzigste Lebensjahr erreicht, kein Siechtum, keine Schmerzen, keinen Todeskampf gehabt. Man könne sagen: er sei nicht gestorben, das Sterben habe er übersprungen – er habe gelebt und jetzt sei er tot.
Vater, dachte ich, wie hast du das wieder gemacht?
Dr. Huber-Canossa hielt und drückte noch immer meine Hand, sah mich mit wässrigen Augen an. Und dann begann ich zu weinen.
Mein Vater hat den Tod in einem Stundenhotel gefunden. In den Armen einer siebzigjährigen Frau.
55.
Sie war vor vierzig oder fünfundvierzig Jahren eine einigermaßen bekannte Schauspielerin gewesen. Den großen Durchbruch hatte sie aber nicht geschafft. Aber ich kann mich aus dieser Zeit noch an sie erinnern, sagte der Doktor. Einmal habe sie immerhin in einem Karl-May-Film mitgespielt, in »Unter Geiern«, an der Seite von Mario Girotti, der später als Terence Hill berühmt wurde.
Ja, ja, sagte ich, aber.
Jetzt ließ der Doktor meine Hand los, winkte einer Krankenschwester, flüsterte ihr etwas zu. Sie ging und brachte mir eine Packung Papiertaschentücher.
Aber. Der Tod. Ich meine. Warum?
Herzstillstand, sagte der Doktor.
Mein Handy läutete.
Was meinen Sie mit Herzstillstand?
Das Handy. Ich griff in die Tasche und drückte darauf herum, bis es endlich zu läuten aufhörte.
Herzstillstand heißt, das Herz hat aufgehört zu schlagen.
Aber hört das Herz nicht immer auf zu schlagen, wenn der Tod eintritt?
Ja.
Mit anderen Worten, Sie sagen: Der Tod war die Todesursache?
Wieder läutete das Handy.
Ja. Der Tod Ihres Vaters hatte keine andere Ursache. Keine sichtbar andere.
Das Handy.
Wollen Sie eine Obduktion beantragen?
Ich holte das Handy aus der Tasche, sah auf dem Display »Mutter«, drückte auf die Taste »Gespräch annehmen« und sagte zum Doktor: Eine Obduktion?
Obduktion?, hörte ich am Handy die Stimme von Mario, dem Mann meiner Mutter. Du weißt es schon? Von wem? Und warum eine Obduktion?
Zehn Minuten später war ich auf dem Weg ins Böhler-Unfallkrankenhaus.
56.
Sie hat nicht gelitten, sagte ein junger Arzt.
Was heißt, sie hat nicht gelitten?
Es ging zu schnell. Als Ihre Mutter vom Pferd abgeworfen wurde, hatte sie gerade noch Zeit, zu begreifen, dass sie abgeworfen wurde. Und schon prallte sie auf, die Halswirbelsäule brach, und sie war tot, schneller als Sie knacks sagen können. Wir haben für Ihre Mutter, als sie gebracht wurde, nichts mehr tun können. Es war eindeutig, dass sie auf der Stelle tot gewesen sein musste. Wir hatten unlängst einen ähnlichen, aber tragischeren Fall: Da wurde auch eine Frau vom Pferd abgeworfen, aber ein Fuß hatte sich im Steigbügel verhängt, die Frau wurde vom durchgehenden Pferd minutenlang mitgeschleift, ihr Kopf schlug immer wieder hart auf, sie starb nach drei Tagen. Nein, Ihre Mutter hatte –
Glück?
Keine Schmerzen. Kein Siechen.
Kann ich sie sehen?
Ich begleite Sie.
Ich hätte gerne erzählt: Sie sah friedlich aus. Sie sah aber nicht friedlich aus. Ich fand, sie sah wütend aus. So oft war sie in ihrem Leben, in ihren Versuchen, ihr Glück zu machen, abgeworfen worden. So kannte ich sie nicht: dass sie nicht mehr aufsteigen konnte.
Die Eltern »sind nicht mehr«. Mit einem Mal. An einem Tag. Durch den Tod am selben Tag gleichsam vereint. Und durch ihre Tode erst recht getrennt. Mutter ist durch ihren Tod nun
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