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Don Juan de la Mancha

Don Juan de la Mancha

Titel: Don Juan de la Mancha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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doch noch die Partnerin ihres früheren Liebhabers Philipp geworden, und Vater hat sich in seinem Tod vermählt mit einem alt gewordenen Starlet aus seiner Glanzzeit, das er wohl aus sentimentalen Gründen wiedergetroffen hatte. Es ist angeblich nicht zum Vollzug gekommen. Sie hatten sich aneinandergedrückt und – »plötzlich war Ihr Vater weg. Ich wollte ihn halten, und er war weg!«
    Ja, so kannte ich ihn: Versuche, ihn zu halten, und er ist weg!
    57.
    Solange mein Vater oder meine Mutter besorgt oder genervt sagen konnten: Werde endlich erwachsen!, so lange war ich ein Kind. Aber seit die Eltern tot sind, erübrigt sich jede weitere Debatte darüber, warum ich nicht erwachsen werden konnte oder warum ich nicht erwachsen werden wollte. Mehr noch: Ich hielt diese Frage jetzt überhaupt für ein Missverständnis.
    Ich schwieg und kaute am Daumennagel, bis Hannah nachfragte: Wieso ein Mißverständnis?
    Erwachsen zu sein heißt, Herrschaft anzutreten. Den Anspruch und auch gewisse Möglichkeiten zu haben, das gesellschaftliche Leben so zu gestalten, dass es einem entspricht. Ein Beispiel: Warum sind in den achtziger Jahren in Wien so viele Cafés und Restaurants im Design der fünfziger Jahre entstanden? Mit Resopal- und Nierentischen, Tütchenlampen und Drahtbildern? Weil die Generation, die ihre Kindheit in den fünfziger Jahren gehabt hatte, nun die Welt oder zumindest ihre Stadt so einrichten wollte, wie es ihr gefiel. Was ihr gefiel, war die Ästhetik, die sie geprägt hatte, die ihrer Kindheit. Sie baute Kulissen auf. War das infantil? Ein Beweis dafür, dass sie Kinder bleiben wollten? Nein. Es war ein Beweis dafür, dass diese Generation erwachsen geworden war: Sie hatten die Mittel in die Hand bekommen und die Möglichkeiten erobert, das zu tun. Sie machte aus ihren Kinderzimmern öffentliche Räume. Der Schritt vom Kinderzimmer in den öffentlichen Raum ist das Entscheidende, und nicht die Tatsache, dass der öffentliche Raum wie ein Kinderspielplatz aussah – das hat er immer getan.
    Ich glaubte Hannah zu langweilen. Vielleicht war es Unsinn, was ich redete, aber für eine Gesprächstherapeutin sollte doch nichts Unsinn sein, sondern alles Material. Jedenfalls hatte ich noch die frische Erde von den Gräbern meiner Eltern unter den Fingernägeln und konnte nicht über »dings« reden, auch wenn es sie wahrscheinlich mehr interessiert hätte.
    Wenn man als junger Erwachsener die Welt seiner Kinderzeit nachbaut, sagte ich, dann kann man das auf zweierlei Weise interpretieren: dass man seine Kindheit imitiert, also nicht erwachsen werden will, oder aber dass man die damals jungen Eltern imitiert, also mit dem Erwachsensein beginnt.
    Hannah machte eine Notiz. Ich hatte den Eindruck, dass sie nur so tat. Sie spielte eine Therapeutin, die eine Notiz machte.
    Anderes Beispiel: darum bekämpften wir als Bettauer die Universitätsbürokratie – so bürokratisch. Wir imitierten oppositionell die Erwachsenen. In der Woche, nachdem die Bettauer durch diesen Polizeieinsatz gesprengt, Franz von seinem Vater verhaftet worden war, gingen Franz und ich noch einmal in das Gasthaus Hebenstreit. Wir wollten wissen, ob nach diesem Eklat doch noch Studenten zum Bettauer-Termin kommen. Außer Franz und mir erschien nur einer, ein Einziger. Ich weiß seinen Namen nicht mehr. Wir saßen da zu dritt, schauten uns an, und dann sagte Franz: Ich stelle gemäß der Geschäftsordnung den Antrag auf Selbstauflösung unserer revolutionären Zelle.
    Der Student, der mit uns dasaß, hob die Hand, sah mich an und sagte: Ich stimme dafür. Ich war sprachlos, und Franz sagte: Antrag mit Zweidrittelmehrheit angenommen!
    Es ist ein Irrtum zu glauben, Hannah, dass wir nicht erwachsen werden wollten. Wir wollten bloß nicht so werden wie die älteren Erwachsenen. So will ich das heute sehen. Diese Geschichte hat mit dem Witz begonnen: Wenn nur einer kommt, dann ist er die Masse. Und geendet hat sie damit, dass nur einer gekommen ist – der ganz allein für eine Zweidrittelmehrheit gesorgt hat. Jeder ist eine Masse.
    Haben Sie das Gefühl, Nathan, dass –
    Nein, unterbrach ich sie. Im Moment fühle ich gar nichts.
    Ich wollte Sie fragen, sagte Hannah, ob das, was Sie jetzt gesagt haben, Sie nicht an Ihre erste Frau erinnert. Sie haben mir erzählt, dass Sie so irritiert von ihr waren, weil sie ihre Eltern imitiert hat. Haben die Erfahrungen der letzten Zeit und die Schlüsse, die Sie daraus offenbar gezogen haben, dazu geführt, dass Sie auch

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