Don Juan de la Mancha
auf diesem Planeten ist anderswo. Draußen. Wo der Kampf ist und der Schmerz. Und das, was fälschlich Enttäuschung heißt, denn die Enttäuschung ist auch nur eine Variante der Täuschung. Wo die Sehnsucht ist und der Verfall. Das Leben ist vor uns oder hinter uns, im Fruchtwasser aber ist nur wachsendes Sein.
Schön. Wäre es. Ewig. Allerdings kann ein fünfzigjähriger Mann nicht im Fruchtwasser liegen, ohne so zu hantieren, als würde er in einem Flugzeugcockpit sitzen. Ich überprüfte die Wassertemperatur mit dem Badethermometer, ließ heißes Wasser nachrinnen, berechnete den Grad der Verdünnung und ergänzte die entsprechende Menge Bellamnion, starrte auf Erinnerungen, die so präzis und doch abstrakt waren wie die Schatten auf einem Radarschirm. Ich dachte an Wie-hieß-sie-doch und an Wie-hieß-sie-noch und an Wie-hieß-sie-gleich, ich strich mit den Händen über meinen Körper, merkte das Herannahen einer Erinnerung, stellte scharf, sah die erste Frau, die ich nach meinem Studienabbruch – rasch tauchte ich ab, zog mich wieder hoch. Sah die Karte. Die Sternenkarte. Mars und Venus. Da läutete es.
Sofort platzte die Blase. Ich sprang aus der Badewanne, hätte mich fast mit der Schnur stranguliert, die zum Wäschetrocknen über der Wanne gespannt war, zog den Bademantel an und öffnete die Tür. Da waren die Männer.
Ich war, als ich dieses Haus gekauft hatte, immer mit dem Badezimmer unzufrieden gewesen. Da gab es eine Badewanne, aber ich war es gewohnt gewesen zu duschen. Vor zwei Wochen hatte ich daher einer Firma den Auftrag gegeben, die Badewanne zu entfernen, stattdessen eine Duschkabine zu installieren und das Bad neu zu verfliesen. Das hatte ich dann allerdings völlig vergessen. Und da standen nun diese Männer, die schon vor der Arbeit verschwitzt rochen, in ihren blauen Latzhosen, mit ihren Werkzeugkisten, und wollten große Kartons in mein Haus tragen, in denen die Teile der Duschkabine verpackt waren.
Nein, sagte ich, das ist ein Irrtum. Halt!
Kann man in Fruchtwasser duschen? Nein.
Das ist ein Irrtum, ein Missverständnis! Ich will keine Duschkabine, sagte ich. Ich will eine größere Badewanne.
Irrtum ausgeschlossen, sagte der Wortführer der Männer, wahrscheinlich der »Meister«, hier im Auftragschein steht ausdrücklich –
Nein, sagte ich, ich will keine Duschkabine, tragen Sie das wieder weg, ich will das nicht.
Der Meister studierte den Auftragsschein, als wäre er die Heilige Schrift und sagte schließlich: Ich weiß nicht, ob Sie wissen, was Sie wollen. Aber hier steht schwarz auf weiß, was Sie wollen.
60.
Es war mühsam, aber es gelang mir, die Männer davon zu überzeugen, mit ihrer Duschkabine wieder abzuziehen. Wir vereinbarten, nach telefonischer Rücksprache mit der »Zentrale«, dass ich in den nächsten Tagen Angebote für eine größere, eine sogenannte Duo-Badewanne erhalten sollte.
Ich lief zurück ins Badezimmer. Das Fruchtwasser war kalt. Ich bereitete mir ein neues, glitt erleichtert hinein. Ich versuchte, den Lebensfilm wieder weiterlaufen zu lassen und an die Frauen zu denken, an die ich mich zuvor erinnert hatte, bis mich die Arbeiter gestört hatten. Hatten sie ein Sexualleben? Diese stinkenden, in ihren Latzhosen wie Würste abgepassten Männer? Jeder Mensch hat ein Sexualleben. Wie unappetitlich diese Vorstellung war, wie lächerlich. Das war zu heiß. Ich ließ kaltes Wasser nachrinnen. Gab es eine schöne, gesunde und freie Sexualität? Ich hatte es geglaubt: Sie sollte durch das Abschütteln gesellschaftlicher Zwänge und Konventionen errungen werden. Diese Abschüttel-Sexualität war der Schlitz, der Durchschlupf in die soziale Freiheit. Ich hatte mir den »richtigen«, den »gesunden« Orgasmus immer als ein Zerstäuben vorgestellt, wie bei diesen Parfumflakons mit Quaste, in der eine Pumpe steckt: Man drückt, und die Essenz erfüllt den Raum, verschwebt in der Atmosphäre. Drücke, meine Liebe, drücke und pumpe! Und ich werde frei schwebende Substanz! Aber so war es nie. Mir fiel eine Betty ein, die, als sie sich auszog und an mich drückte, unerträglich nach Achselschweiß gerochen hatte. Warum hatte sie kein Bad genommen, bevor wir ins Bett gingen? Warum hatte ich nicht gesagt: Komm, nehmen wir ein Bad!? Ich war zu feig. Ich wollte – ich weiß nicht, was. Nicht spießig wirken. Ich bin nicht frei genug gewesen, um mich durch Sex befreien zu können. Ich bekam eine Gänsehaut. Ich überprüfte die Wassertemperatur, ließ etwas heißes
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