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Don Juan de la Mancha

Don Juan de la Mancha

Titel: Don Juan de la Mancha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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physischen Muskel anzuspannen. Barbaras Keuchen erleichterte mir die Erregung. Aber bald wurde alles eins: Gelingen, Angst, Schmerz und Hass. Das Leiden unter Tag. Ich war auf eine Mine gestoßen, aber es war noch so lange hin bis zum Ende der Schicht. Unvorbereitet in einer Mathestunde. Bis jetzt bin ich gut davongekommen, aber noch so lange bis zum erlösenden Läuten. Marathon. Ich schüttete laufend Glückshormone aus, aber die Muskeln brannten schon, nie würde ich es ins Ziel schaffen. Hundert Liegestütze waren die Höchststrafe in der Schule gewesen, noch jeder ist unter dieser Anforderung zusammengebrochen. Hatte diese Strafe ein Training für die Liebe sein sollen? Für das Leben lernen wir? Ich weinte. Ich biss die Zähne zusammen. Ich wollte es schaffen. Ich bin immer brav gewesen. Hör auf, sagte Barbara, ich kann nicht mehr.
    Aber noch immer nicht die Dämmerung, das Morgengrauen.
    Das habe ich noch nie erlebt, sagte Barbara.
    Ich schon. Nur noch nicht im Bett. Mich ekelte vor ihrem Schweiß. Sie drückte mein Gesicht gegen ihren nassen Busen, sagte »Lieber!«.
    Was?, fragte ich.
    Sie schlief schon. Was, dachte ich, wäre ihr lieber?
    Es war finster zwischen ihren Brüsten. Ich hörte Vogelgezwitscher. Und sagte: Es ist die Nachtigall und nicht –
    Sie schlief doch nicht. Du bist eine Kindsbestie, sagte sie.
    Eine Woche später war Helga so weit. Ganz plötzlich. Allerdings ist es immer plötzlich, wenn eine Frau ja sagt. Wir sind im Kino gewesen. Fellinis Casanova. Ich hatte bei der Entscheidung, welchen Film wir uns ansehen, keine taktischen Hintergedanken gehabt. Uns interessierte Fellini, allenfalls noch Donald Sutherland, nicht Casanova. Und während des Films kam ich erst recht nicht auf die Idee, dass dieser Film Helga anregen und ihre Entscheidung, endlich mit mir ins Bett zu gehen, befördern könnte. Für mich war dieser Film eine historische Studie über die wachsende Potenz bürgerlicher Verkehrsformen im Schoß des Feudalismus. Wie viel erregender der bürgerliche Leistungsgedanke war, im Vergleich zu dem feudalen Anspruch auf Lust, der sich nur von einer privilegierten Geburt ableitete und in Langeweile münden musste. In Casanovas Sexualverhalten kündigte sich bereits die Fabrikdisziplin an, letztlich der Taylorismus, und damit der definitive ökonomische Sieg des Bürgertums über die alten Produktionsweisen. Ich war bereit, Helga sofort in einem Café einen Vortrag darüber zu halten, als ich sie nach dem Verlassen des Kinos fragte, wohin wir jetzt gehen könnten. Wir können gerne zu dir gehen, sagte sie.
    Mir wurde mulmig. Ich hatte das nicht erwartet und daher die Heizung im Marxer Keller aus Sparsamkeitsgründen nur auf das Minimum eingestellt. Wir mussten sehr lange in voller Bekleidung schmusen, bis es endlich so warm war, dass Helga bereit war, sich auszuziehen. Eigentümlichweise empfand ich oder wollte empfinden, dass Helgas Entjungferung auch mein erstes Mal sei. Barbara ist nur die Einschulung gewesen, sozusagen das Einführungsproseminar, aber Helga sollte meine wirklich erste, meine echte erste Erfahrung sein.
    Diese Aufspaltung meiner ersten Erfahrung war der Grund, dass ich schon beim ersten Mal im Grunde nicht wusste, mit wem ich eigentlich zusammen war.
    Es war unendlich kompliziert mit Helga. Ich war entnervt, verlor die Lust. Das duldete ich aber nicht. Lust musste herrschen, es musste funktionieren. Es funktionierte, weil ich dauernd an den Exzess mit Barbara dachte. Der Exzess mit Barbara ist mühsam gewesen, schmerzhaft anstrengend, aber in der Erinnerung war er ein vorbildlicher Exzess. Wie sie mir ihre Brüste ins Gesicht gedrückt hatte – so unangenehm, diese erstickenden feuchten Euter, Panik hatte ich empfunden, die Luft angehalten, nur noch gestrampelt wie einer, der ins Wasser gestürzt ist, »Tiefer! Tiefer!«, aber ich hatte nur auftauchen wollen. Jetzt aber, in der Erinnerung, erschien mir das als vorbildlich geil, verglichen mit der sperrig scheuen Art, wie Helga immer wieder mit gekreuzten Armen ihre Warzen-Knospen bedeckte. Es gibt kein Eindringen ohne Erinnern, es wurde alles eins.
    Ja, haben Sie denn keine Zärtlichkeit empfunden, fragte Hannah.
    Ja, schon, natürlich, aber das ist wahrscheinlich das Problem: dass ich schon damals irgendetwas erwartet oder ersehnt habe, das weit darüber hinausgeht.
    Liebe, Nathan?
    Nein. Was immer es ist, es ist das, was ich Lust nenne. Das größte Rätsel, das höchste Ziel: Lust.
    Kein Blut. Es machte mich

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