Don Quixote von la Mancha: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Vermittelung zuläßt, oder mindestens mit Euch zu weinen, wie ich es Euch versprochen habe.«
Der Ritter vom Gebüsche, wie er diese Rede dessen von der traurigen Gestalt vernahm, tat nichts weiter, als daß er ihn beschaute und wieder beschaute und wiederum vom Kopf bis zu den Füßen beschaute und nachdem er ihn genug betrachtet hatte, sagte er: »Wenn Ihr etwas zu essen bei Euch habt, so gebt es mir um Gottes willen, denn sowie ich gegessen habe, will ich nach Eurem Befehle alles tun, als Danksagung für so freundschaftliche Gesinnungen, wie Ihr mir bewiesen habt.«
Sogleich holten Sancho aus seinem Beutel und der Ziegenhirt aus seiner Tasche etwas hervor, womit der Zerlumpte seinen Hunger stillen konnte, der wie ein Blödsinniger alles mit solcher Hast verschlang, daß er schnell einen Bissen nach dem anderen ohne zu kauen hinunterschluckte, wobei während dem Essen weder von ihm noch von denen, die ihm zusahen, ein Wort gesprochen wurde. Als er gegessen hatte, machte er Zeichen, daß sie ihm folgen möchten, wie sie auch taten; er führte sie auf einen grünen Wiesenplatz, den sie in der Nähe um die Biegung eines Felsens antrafen. Als sie dort waren, setzte er sich im Grase nieder, die übrigen taten das nämliche, und keiner sprach ein Wort, bis der Zerlumpte, nachdem er sich ganz nach seiner Bequemlichkeit gesetzt hatte, sagte: »Wenn ihr es wünscht, meine Herren, daß ich euch kürzlich die Unermeßlichkeit meiner Leiden erzähle, so müßt ihr mir versprechen, weder durch eine Frage noch auf andere Weise den Faden meiner traurigen Geschichte zu zerreißen, denn sowie dieses geschieht, werde ich keineswegs die Erzählung vollenden können.«
Diese Forderung des Zerlumpten erinnerte Don Quixote an jene Geschichte, die ihm sein Stallmeister vorgetragen hatte, als er die Zahl der Ziegen, die über den Fluß gesetzt waren, nicht wußte, und dadurch die Historie unvollendet blieb. Der Zerlumpte aber fuhr fort: »Ich verlange dieses nur, damit ich um so schneller die Geschichte meines Unglückes vollenden könne, denn es meinem Gedächtnisse wiederholen, dient nur dazu, neue Leiden zu den alten hinzuzufügen, und je weniger ihr mich also unterbrecht, je schneller werde ich meine Erzählung endigen, ohne deshalb etwas Wichtiges auszulassen, um ganz eurem Verlangen Genüge zu leisten.« Don Quixote versprach alles im Namen der übrigen, und jener fing nach dieser Versicherung also an:
»Mein Name ist Cardenio, mein Geburtsort eine der vornehmsten Städte in Andalusien, meine Familie ist edel, meine Eltern sind reich, und mein Unglück ist so groß, daß meine Eltern es beweinen werden, meine Familie darüber trauern wird, ohne daß sie mir mit ihren Reichtümern helfen können; denn um die Verhängnisse des Himmels abzuwenden, sind die Güter des Glückes von wenigem Nutzen. In dieser nämlichen Stadt lebte der Himmel, den die Liebe mit aller ihrer Herrlichkeit geschmückt hatte, um meine Sehnsucht zu erregen; so groß war die Schönheit Lucindens, eines Mädchens, nicht minder edel und reich als ich, aber von besserem Glück und geringerer Standhaftigkeit, als sie meiner edlen Liebe schuldig war. Diese Lucinde ward von mir seit meinen frühesten Jahren geliebt und angebetet, und sie liebte mich mit jener Kindlichkeit und Einfalt, die ihrer Jugend natürlich waren. Unsere Eltern kannten unsere Absicht und waren nicht unwillig darüber, denn sie sahen wohl ein, daß die Zeit unsere Vermählung herbeiführen würde, etwas, das gut mit der Gleichheit unseres Adels und Vermögens übereinstimmte. Unsere Jahre nahmen zu, und mit ihnen wuchs unsere beiderseitige Liebe, so daß es Lucindens Vater für gut hielt, mir aus unverwerflichen Rücksichten den Zutritt in seinem Hause zu verweigern, und so war er hierin dem Vater der Thisbe ähnlich, die von den Poeten so oft besungen ist. Durch diesen Vorfall ergossen sich Tränen auf Tränen. Wünsche beflügelten Wünsche, denn war auch unseren Zungen Stillschweigen auferlegt, so konnten sie doch unsere Federn nicht verstummen machen, die gewöhnlich dreister als die Zungen die Empfindungen des Herzens zu erkennen geben, denn die Gegenwart des geliebten Gegenstandes macht nur zu oft den kühnsten Vorsatz und die verwegenste Zunge zaghaft und unberedt. O Himmel! wie viele Briefe schrieb ich ihr! wie viele Antworten, so erfreulich als anständig erhielt ich von ihr! Wie viele Gesänge, wie so manche verliebten Lieder wurden von mir gedichtet, in denen das Herz alle seine
Weitere Kostenlose Bücher