Don Quixote von la Mancha: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
habt, in ungefähr neun Jahren am Eingange des Kaspischen Meeres oder Kaspisser Sees sein, der nicht mehr über hundert Tagereisen von dem Reiche Eurer Hoheit entfernt liegt.«
»Ihr irrt hierin, mein werter Herr«, sagte sie, »denn es sind noch nicht zwei Jahre, seitdem ich abreiste, und ich habe in Wahrheit nicht immer gutes Wetter gehabt, und dennoch bin ich schon in der Gegenwart dessen, den ich so sehr zu sehen wünschte, nämlich des zu verehrenden Don Quixote von la Mancha, von dem mir das Gerücht sagte, sowie ich nur meinen Fuß auf spanischen Boden setzte, wodurch ich auch bewogen bin, ihn aufzusuchen, mich seinem Edelmute zu vertrauen und meine gerechte Sache der Tapferkeit seines unüberwindlichen Armes anheimzustellen.«
»Nicht weiter, man unterlasse dergleichen Lobpreisungen«, unterbrach hier Don Quixote; »denn ich bin ein Feind jeglicher Schmeichelei, und obgleich dieses keine ist, so werden dennoch durch dergleichen Reden meine keuschen Ohren verletzt. Nur das, meine Gebieterin, versichere ich, mag ich Tapferkeit besitzen oder nicht, so soll diejenige, die ich nur habe, immer in Eurem Dienste bis zu meinem letzten Blutstropfen aufgewendet werden. Wir wollen dieses aber seiner Zeit überlassen, und ich bitte vielmehr den Herrn Lizentiaten, mir zu erzählen, was ihn in diese einsamen Gegenden geführt habe, so ohne Diener und so leicht gekleidet, daß ich mich billig darüber verwundern muß.«
»Ich will mit wenigem darauf antworten«, sagte der Pfarrer.«Ihr müßt also wissen, mein gnädiger Herr Don Quixote, daß ich und Meister Nikolas, unser Freund und Barbier, nach Sevilla gingen, um eine Summe Geldes abzuholen, die mir ein Verwandter, der seit vielen Jahren in Indien lebt, geschickt hatte. Es war keine Kleinigkeit; denn sie belief sich auf einige tausend Taler. Wie wir nun gestern durch diese Gegend gingen, überfielen uns vier Straßendiebe, die uns so rein bis auf die Bärte ausplünderten; ja, dem Barbier ist es so übel bekommen, daß er sich jetzt wirklich genötigt sieht, einen falschen Bart zu tragen. Und auch diesen jungen Menschen da (indem er auf Cardenio zeigte), haben sie ganz artig zugerichtet. Was aber das Sonderbarste ist, so geht in diesen Gegenden ein Gerücht, daß diejenigen, die uns so geplündert haben, Ruderknechte sind, die ungefähr an demselben Orte ein Mann freigemacht haben soll, dessen Tapferkeit so groß gewesen, daß er, trotz dem Kommissarius und den Wächtern, sie allen abgewonnen. Dieser Mann muß ohne allen Zweifel von der Vernunft entblößt oder ein ebenso großer Schurke sein als sie selber, oder ein Mensch ohne Gefühl und Gewissen, weil er auf diese Weise den Wolf unter die Schafe sendet, den Fuchs unter die Hühner, die Fliege zum Honig. Er stört die Gerechtigkeit, widersetzt sich seinem Könige und Gebieter; denn er streitet gegen dessen gerechteste Gesetze, indem er dessen Galeeren ihre Füße entzieht, die heilige Brüderschaft in Aufruhr bringt, die seit manchem Jahre ruhen konnte, indem er endlich eine Tat begeht, wodurch er seiner Seele schadet, ohne seinem irdischen Körper zu nutzen.«
Sancho hatte dem Pfarrer und Barbier das Abenteuer mit den Ruderknechten erzählt, welche sein Herr mit seiner höchsten Glorie zustande gebracht hatte; deshalb ergriff der Lizentiat diese Gelegenheit, dem Don Quixote den Text zu lesen, um zu sehen, was er tun oder sagen würde. Dieser aber wurde bei jedem Worte blasser und hatte nicht das Herz, es zu sagen, daß er der Befreier jener armen Leute gewesen sei.
»Diese also«, schloß der Pfarrer, »waren es, die uns beraubten, und Gott möge nach seiner Barmherzigkeit demjenigen verzeihen, der es verhinderte, daß sie zu ihrer verdienten Strafe abgeführt werden konnten.«
30. Kapitel
Welches von der Verständlichkeit der schönen Dorothea handelt, nebst anderen angenehmen und lustigen Dingen.
Der Pfarrer hatte kaum ausgeredet, als Sancho sagte: »Bei meiner Seele, Herr Lizentiat, der diese Tat unternommen hat, war kein anderer als mein Herr, ich mochte ihm sagen, was ich wollte, und ihn noch so viel warnen, daß er bedenken möchte, was er täte und wie es Sünde sei, die Kerle frei zu machen, die wegen erschrecklicher Spitzbüberei so fortgebracht würden.«
»Flegel!« rief hier Don Quixote aus, »irrende Ritter kümmert es nie, und ist ihnen nicht fragenswert, weshalb die Betrübten, Gefesselten und Unterdrückten, die ihnen auf ihren Reisen begegnen, also aufziehen, ob dieses ihrer Verbrechen oder
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