Don Quixote von la Mancha: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
findet er Veranlassung, ihrer zu bedürfen, und daneben, daß er mit allen geistlichen und Kardinaltugenden geschmückt sein muß, behaupte ich, zu anderen unbedeutenden Nebensachen hinabsteigend, daß er so schwimmen können muß, wie jener Taucher Nikolas es verstanden haben soll. Er muß sein Pferd zu beschlagen und Sattel und Zaum aufzulegen wissen; und, um auf das Höhere zurückzukommen, so muß er seine Treue Gott und seiner Dame bewahren: er muß keusch sein in seinen Gedanken, wohlanständig in Worten, freigebig in Werken, tapfer in Taten, geduldig in Leiden, mitleidig gegen Hilfsbedürftige, und endlich noch muß er die Wahrheit hochhalten, und wenn ihn ihre Verteidigung auch das Leben kosten sollte. Aus allen diesen wichtigen und unbedeutenderen Bestandteilen ist der irrende Ritter zusammengesetzt, woraus Ihr denn, mein werter Herr Don Lorenzo, abnehmen mögt, ob es wohl eine unnütze Wissenschaft sei, die der irrende Ritter erlernt, der sich ihr widmet und sie studiert, und ob sie sich nicht mit den allerhöchsten vergleichen dürfe, die nur immer auf Gymnasien und Schulen gelehrt werden.«
»Wenn dem so ist«, versetzte Don Lorenzo, »so sage ich, daß diese Wissenschaft alle anderen übertrifft.«
»Wie? Wenn dem so ist?« fragte Don Quixote.
»Ich will damit so viel sagen«, antwortete Don Lorenzo, »daß ich es bezweifle, es habe sowohl jetzt wie sonst dergleichen irrende Ritter gegeben, die mit allen diesen Vorzügen geschmückt gewesen.«
»Schon oftmals hab’ ich gesagt, was ich jetzt wieder sagen muß«, antwortete Don Quixote, »daß die meisten Menschen in der Welt der Meinung sind, es habe niemals irrende Ritter gegeben; und weil es mir scheint, daß, wenn ihnen der Himmel die Wahrheit, daß es welche gab und noch gibt, nicht auf wunderbare Weise deutlich macht, jede Mühe, die man sich gibt, vergeblich sein wird, wie ich dieses aus meiner eigenen Erfahrung oftmals gemerkt habe, so will ich mich auch jetzt nicht damit aufhalten, Euch aus dem Irrtume zu reißen, in welchem sich so viele befinden. Was ich zu tun gedenke, ist, den Himmel zu bitten, Euch daraus zu erlösen und Euch die Einsicht zu verleihen, wie nützlich und notwendig die irrenden Ritter den vergangenen Zeitaltern waren, und wie nützlich sie dem gegenwärtigen sein würden, wenn sie vorkämen. Aber der menschlichen Sünden wegen triumphieren jetzt Trägheit, Müßiggang, Schlemmerei und Wohlleben.«
»Jetzt ist mir unser Gast wieder entschlüpft«, sagte hierauf Don Lorenzo zu sich selber; »aber bei alledem ist er ein hellscheinender Narr, und ich wäre ein ausgemachter Dummkopf, wenn ich ihn nicht dafür erkennen wollte.«
Hiermit endigten sie ihr Gespräch; denn sie wurden zu Tische gerufen. Don Diego fragte seinen Sohn, was er über den Geist seines Gastes ins reine gebracht habe. Worauf jener antwortete: »Aus dem verworrenen Konzepte seiner Narrheit könnten ihn nicht alle Ärzte der Welt noch alle noch so gute Abschreiber ins reine bringen; er ist ein gemischter Narr, der viele helle Augenblicke hat.«
Sie setzten sich zu Tische, und die Mahlzeit war so beschaffen, wie Don Diego unterwegs erzählt hatte, daß er sie seinen Gästen vorsetze, alles zierlich, im Überflusse und schmackhaft; worüber sich aber Don Quixote am meisten freute, war die wunderbare Stille, die im ganzen Hause herrschte, so daß es dadurch einem Kartäuserkloster ähnlich war.
Als man die Tafel aufgehoben, das Gratias gesprochen und Waschwasser herumgegeben hatte, bat Don Quixote den Don Lorenzo sehr eifrig, ihm die Verse herzusagen, die er zu der Preisaufgabe verfertigt habe. Worauf jener antwortete: »Um nicht jenen Poeten ähnlich zu sein, die, wenn man sie um ihre Verse bittet, stillschweigen, und wenn keiner danach fragt, sie von sich geben, will ich meine Glosse hersagen, für die ich keinen Preis erwarte, sondern die ich nur ausgearbeitet habe, um meinen Scharfsinn zu üben.«
»Ein Freund von mir und ein verständiger Mann«, antwortete Don Quixote, »war der Meinung, daß sich keiner Mühe geben möchte, Verse zu glossieren; die Ursache, wie er sagte, sei die: daß die Glosse niemals zum Texte passe, sondern daß sich vielmehr die Glosse oft, oder meistenteils, gänzlich von der Absicht und dem Thema entfernte, welches glossiert werden soll, besonders da die Gesetze der Glosse so übermäßig strenge sind, daß sie keine Fragen erlauben, kein ich sagte, oder ich werde sagen, auch nicht, daß man aus den Verben Substantiva macht,
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