Don Quixote
und es jetzt nur für eine Einbildung halte, denn Lotario vermeide nunmehr alle Gelegenheit, sie zu sehen und mit ihr allein zu sein. Anselmo sagte, daß sie diesen Verdacht nur unterdrücken möchte, denn er wisse, daß Lotario in ein vornehmes Fräulein dieser Stadt verliebt sei, die er auch unter dem Namen Cloris besinge; wenn dies aber auch nicht wäre, so dürfte sie an Lotario wegen Aufrichtigkeit und seiner zärtlichen Freundschaft zu ihm keinesweges zweifeln; hätte Camilla nicht vom Lotario gewußt, daß diese Liebe zur Cloris nur ersonnen sei und daß er dies dem Anselmo gesagt habe, um zuweilen Gelegenheit zu finden, sie selbst in Versen zu preisen, so hätte sie sich wohl in das unglückselige Netz der Eifersucht verstricken lassen; da sie aber schon darum wußte, hörte sie es ohne Erschrecken.
Am andern Tage, als die drei bei Tische saßen, bat Anselmo den Lotario, ob er nicht irgend etwas hersagen wolle, was er auf seine geliebte Cloris gedichtet habe, denn da Camilla sie nicht kenne, möge er dreist alles sagen.
»Und wenn sie sie auch kennte«, antwortete Lotario, »so würde ich darum nichts verhehlen, denn wenn ein Liebender seine Dame wegen ihrer Schönheit lobt und sich über ihre Grausamkeit beklagt, so tut dies ihrem guten Namen durchaus keinen Eintrag; genug, ich machte gestern auf die Unerkenntlichkeit dieser Cloris folgendes Sonett:
Sonett
In ruh'ger Stille, wann die dunkle Nacht
Auf Sterbliche den Schlummer ausgegossen,
Wird meiner Leiden Rechnung abgeschlossen,
Dem Himmel, meiner Cloris dargebracht.
Und wann die Sonne sich in aller Pracht
Erhebt mit ihren feuerroten Rossen,
Dann wird mit Tränen, meines Grams Genossen, Der alte Krieg von neuem angefacht.
Und wann vom goldnen Thron die Sonne nieder
Wirft senkrecht ihren Strahl zur Erde hin,
Muß Klag und Seufzen stärker wiederkehren.
Es kömmt die Nacht, die Schmerzen kommen wieder,
Und immer bleibt für meinen treuen Sinn
Der Himmel taub, und Cloris will nicht hören.«
Camillen gefiel das Sonett, doch mehr noch dem Anselmo, dieser lobte es sehr und sagte, daß die Dame übermäßig grausam sei, wenn sie von diesen Empfindungen nicht gerührt werde. Worauf Camilla fragte: »Ist es denn aber alles wahre Empfindung, was die verliebten Poeten sagen?«
»Nicht deswegen, weil sie Poeten sind«, antwortete Lotario, »sondern als Verliebte, die immer noch zu wenig von dem sagen, was sie wahrhaft empfinden.«
»Das leidet keinen Zweifel«, versetzte Anselmo, um nur Lotarios Rolle gegen Camilla zu unterstützen, die schon ebenso gleichgültig über Anselmos Kunstgriff als heftig in Lotario verliebt war; weil ihr also diese Gedichte gefielen, sie auch recht gut einsah, daß seine Verse und Gedanken nur auf sie gerichtet waren und daß sie die eigentliche Cloris sei, bat sie ihn, daß, wenn er noch ein anderes Sonett oder andere Verse wüßte, er sie hersagen möchte.
»Ich weiß ein zweites«, antwortete Lotario, »ich halte es aber nicht für so gut als das erste oder, um mich richtiger auszudrücken, für noch schlechter, Ihr mögt aber selbst urteilen, denn so klingt es:
Sonett
Ich weiß, ich sterbe, dies ist mir geblieben,
Glaubst du es nicht, muß ich so eh'r vergehen,
Wie du mich, Harte, wohl magst sterben sehen,
Doch nicht bereun, daß dir geweiht mein Lieben.
Bin ich in jener Schattenwelt dort drüben,
Wo alle Freuden, Leben, Ruhm verwehen,
Dann sieh im offnen Busen Zeugnis stehen,
Dein schönes Angesicht ihm eingeschrieben.
Dies Heiligtum will ich mir treu bewahren
Für jenen Weg, auf den mich treibt mein Sinn,
Den deine Grausamkeit noch treuer stählet.
Wie muß mein Schiff bei dunklem Himmel fahren
Durch fremd gefahrenvolle Meere hin,
Wo Kompaß mir und Stern und Hafen fehlet!«
Auch dieses zweite Sonett lobte Anselmo ebenso wie das erste, und so fügte er selbst einen Ring nach dem andern an die Kette, aus der seine Entehrung zusammengefügt war, denn als Lotario ihn am meisten entehrte, glaubte er sich am meisten geehrt ; und mit jeder tiefern Stufe, die Camilla bis zu ihrer Verächtlichkeit herabstieg, stieg sie in der Meinung ihres Mannes höher, bis zum Gipfel der Tugend und Rühmlichkeit.
Es geschah um diese Zeit, daß Camilla sich mit ihrem Mädchen einmal, wie es öfter kam, allein befand und zu ihr sagte: »Ich bin sehr bekümmert, liebe Leonella, daß ich mich selbst nicht mehr zu schätzen gewußt habe, so daß Lotario erst mit der Zeit den ganzen Besitz meiner Liebe bekommen hätte, den ich
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