Donaugrund (German Edition)
Raphael fort und widmete sich mit Hingabe der Frontscheibe. »Ich glaube, sie hatte ziemlich große Angst, dass ich dank meines fortgeschrittenen Alters langsam jede Chance auf eine akzeptable Frau verspielt habe.«
»Du bist erst zweiunddreißig«, sagte ich.
»Richtig. Und somit aus Sicht meiner Mutter schon längst über dem Verfallsdatum, befürchte ich.«
Das klang beunruhigend. »Muss ich dann Kleidchen tragen und einen Knicks machen und so?«
Lachend löste Raphael die Scheibenwischer. »Keine Panik. Abgesehen von ihrer Sorge, dass der arme Kerl – das bin ich – zu viel Alkohol trinkt, zu wenig isst und nie mehr eine Frau findet, ist sie eigentlich ganz lässig. Und außerdem hast du jetzt dank Wahlner wohl ohnehin noch Schonfrist.« Mit einem zufriedenen Nicken ließ er von der Scheibe ab und warf den Kratzer ebenfalls zurück in den Kofferraum. »Aber ich befürchte, sobald dieser Fall geklärt ist, kann ich dir einen Besuch in München nicht mehr ersparen.«
Bei dem Wort »München« war ich zusammengezuckt, jetzt riss ich in einer Übersprungshandlung hektisch die Beifahrertür auf und sackte auf dem Sitz zusammen. München. Dabei wollte ich doch genau daran nicht denken. Und es war mir tatsächlich gelungen, dieses vermaledeite Jobangebot die ganze letzte Nacht auszublenden. Bis jetzt. Mit einem Mal fühlte ich mich wieder völlig erschlagen von der Entscheidung, die ich zu treffen hatte. Die ich bald zu treffen hatte, korrigierte ich mich in Gedanken. Und die ich nicht treffen wollte, weil ich mich wahrscheinlich so oder so im Nachhinein dafür verfluchen würde.
»Hey«, sagte Raphael und stupste mich zärtlich auf die Nase. Ich hatte kaum bemerkt, dass er ebenfalls in den Wagen gestiegen war. Jetzt musterte er mich mit einem verhaltenen Lächeln. In seinen Wimpern und Haaren hatte sich feiner Schnee verfangen, der mit seiner leicht gebräunten Haut kontrastierte. »Meine Eltern sind ganz okay, echt. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Und von dir werden sie sicher absolut begeistert sein.« Er zog mich zärtlich an sich, und obwohl in meinem Kopf wieder mal Chaos herrschte, ließ ich ihn gewähren.
»So wie ich«, flüsterte er in mein Ohr.
Wenn du wüsstest, wie wenig ich deine Begeisterung im Moment verdiene. Ich rang mich zu einem halbherzigen Lächeln durch, schließlich wollte ich ihn nicht beunruhigen, bevor ich selbst eine Ahnung hatte, wie es weitergehen sollte.
Leider hatte Raphael die Halbherzigkeit bemerkt. »Du musst das verstehen … Meine Mom hat sich seit Isas Tod ziemliche Sorgen gemacht«, erklärte er. »Und insgeheim wohl befürchtet, dass …« Er neigte abwägend den Kopf. Unweigerlich musste ich lächeln. »Dass du zeit deines Lebens auf dem Lonesome-Cowboy-Trip bleibst?«
»So ungefähr, ja.« Trotz meines Lächelns antwortete er ernst, und seine Offenheit beschämte mich.
»Insofern hätte sie sich wohl sogar gefreut, wenn ich mich entschieden hätte, mir im Internet eine Asiatin zu bestellen«, sagte er grinsend, ließ mich los und startete endlich den Wagen. »Aber über dich freut sie sich natürlich mehr.«
Nur mühsam verkniff ich mir den Kommentar, dass ich Raphaels Mutter vielleicht bald täglich nach der Arbeit auf ein Tässchen Tee besuchen gehen könnte.
* * *
Sarah spielte immer noch geistesabwesend mit dem Bommel ihrer Mütze, als Raphael den Wagen auf dem Dienstparkplatz abstellte. Trotzdem war er zufrieden; ihre Reaktion auf den obligatorischen Hallo-Eltern-ich-bin-die-Neue-Handshake hätte schließlich auch weitaus ablehnender ausfallen können.
Er eilte ins Büro, in dem von Herbert – wie mittlerweile vor halb neun üblich – nichts zu sehen war. Stattdessen hatte sich Moritz auf dem Besucherstuhl neben Sarahs Schreibtisch niedergelassen und sah ihm erwartungsfroh entgegen. »Hallo, Boss, kann’s endlich losgehen?«
Raphael war erleichtert. Normalerweise musste er für zusätzliches Personal härtere Kämpfe ausfechten, aber diesmal hatte tatsächlich eine E-Mail an den Chef ausgereicht. »Hat der Schneck also meine Gebete erhört?« Er versuchte, nicht an Sarahs zu erwartenden vorwurfsvollen Blick zu denken, und schnappte sich Jan Wahlners Vermisstenakte vom Schreibtisch.
»Ja, klasse, echt. Danke dir!« Moritz’ Stimme überschlug sich beinahe vor Begeisterung. »Solange im K3 nichts Brisantes anliegt, stehe ich euch ab heute hochoffiziell zur Verfügung!«
»Na, dann komm, bevor sich Sarah da draußen noch den Hintern
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