Donaugrund (German Edition)
machen?
Dass Sie diese Frage bejahen, macht die Situation für mich gerade nicht einfacher, werte Leser. Es läuft aber auch alles so gut hier, endlich! Ich bin glücklich, mit meiner Arbeit, in meiner Heimatstadt, mit meiner Familie, mit meinen Freunden … und mit Raphael. Genau dieser Punkt ist leider im Augenblick der ausschlaggebende, der aus einem angenehmen Leben ein nahezu perfektes macht. Es hilft nicht, mich selbst zu belügen. Und Sie merken es ja ohnehin jedes Mal, wenn ich versuche, Ihnen ein X für ein U vorzumachen …
Seufzend trabte ich zurück zum Büro. Ich würde mich kopfüber in den Fall stürzen und hoffen, dass sich der Gedanke an dieses Jobangebot vertreiben ließ, bis ich Zeit und Muße hatte, in Ruhe darüber nachzudenken.
Als ich unser Büro betrat, sah Raphael mir lächelnd entgegen. »Alles klar?«, fragte er und tauchte den Löffel in die Müslischale.
»Äh …« Himmel noch mal. »Ja. Schneck wollte nur kurz über den Stand der Dinge informiert werden.« Anscheinend hatte ich von Boris Becker nicht nur das Sprachvermögen, sondern auch den Hang zur Falschaussage übernommen. Aber wenigstens hatte ich keine Besenkammer-Affäre zu vertuschen.
Eine halbe Stunde später saßen wir im reichlich überfüllten Besprechungsraum der HEUREKA . Sascha Hoyer, der neben uns auf der Stirnseite des Raumes saß, beobachtete mit sichtlichem Unwillen, wie einzelne Mitarbeiter verspätet ins Zimmer eilten und die Augen aller Anwesenden gespannt zwischen ihm, Raphael und mir hin- und herwanderten. Das Getuschel schwoll an, während sich die Nachzügler Plätze suchten oder sich der Einfachheit halber an das Fensterbrett lehnten.
»Genau das wollte ich eigentlich vermeiden«, zischelte Hoyer halblaut. »Große Aufregung und Skandale lenken nur vom effizienten Arbeiten ab.« Mit einer verstohlenen Geste wischte er sich die Hände an der Jeans ab. Sein Adamsapfel hüpfte nervös, und auf seiner Stirn hatten sich feine Schweißperlen gebildet. Zum dritten Mal in Folge schob er seine Brille am Nasensteg wieder in Position, ohne dass sie auch nur einen Millimeter nach vorn gerutscht war.
»Na ja, irgendwann müssen es die Mitarbeiter schließlich erfahren, oder?« Raphael hob die Augenbrauen.
»Eine E-Mail an alle hätte es auch getan«, sagte Hoyer, ohne uns anzusehen.
Mit Grauen stellte ich mir vor, eine E-Mail zu öffnen und vom tragischen, viel zu frühen Ableben eines Kollegen zu erfahren.
»Sind wir dann vollzählig?«, fragte Raphael.
Hoyer nickte, und ich stand auf, um die Tür zu schließen. Sofort kehrte Ruhe ein, die Mitarbeiter blickten erwartungsvoll auf Hoyer, der sich mit rotem Gesicht von seinem Stuhl erhob und schließlich die Augen auf die Tischplatte vor sich heftete. Ich ermahnte mich selbst, meinen Blick von ihm loszureißen und in die Menge schweifen zu lassen.
»Wie ihr wisst«, sagte Hoyer leise, räusperte sich, setzte erneut an, »wie ihr wisst, ist Jan seit einigen Wochen verschwunden. Jetzt wurde seine Leiche gefunden.«
Sogar ich schluckte, so übergangslos, wie Hoyer die Neuigkeit mitten unters Volk knallte. Für einen Moment herrschte absolute Stille, dann schrie eine attraktive junge Frau, in der ich das Model von unserem ersten Besuch wiedererkannte, mit erstickter Stimme leise auf.
»Also«, fuhr Hoyer fort und schluckte laut hörbar. »Er ist tot. Deswegen ist die Kripo wieder für ein paar Tage im Haus.« Ich erlaubte mir einen kurzen Seitenblick auf Hoyer, der erschöpft und schweißgebadet auf seinen Stuhl zurücksank. Auftritte vor Publikum lagen ihm eindeutig nicht.
Das Supermodel hatte zwischenzeitlich laut zu schluchzen begonnen, wurde aber bereits von einem unauffälligen jungen Kerl mit Brille und kurzen blonden Locken, der ihr zaghaft über die Schultern streichelte, getröstet. Er selbst sah blass und erschüttert aus, war aber gefasst. Der Großteil der Angestellten starrte Hoyer immer noch mit weit aufgerissenen Augen an. Mit einigen Sekunden Verzögerung begannen weitere, zumeist lautlose Tränen des Schocks zu kullern.
Einige wenige fingen sofort wieder an zu tuscheln, und ein großer Glatzkopf im grauen Maßanzug lehnte gelangweilt an der Wand und inspizierte seine Fingernägel. Als das Model wieder aufschluchzte, warf er ihr einen verächtlichen Blick zu, während der Feuermelder vom Empfang ungerührt wirkte, die Kollegen aber, vor allem die weinenden, mit schlecht verhohlener Sensationsgier musterte. Da hatten sich ja anscheinend ein paar
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