Donaugrund (German Edition)
echte Schätzchen unters HEUREKA -Volk gemischt.
Das Gemurmel schwoll an, die meisten hatten tröstende Worte für diejenigen übrig, denen die soeben verkündete Nachricht sichtlich naheging. Nur die große Frau neben dem Model, das sich zwischenzeitlich bereitwillig an den unauffälligen Kerl schmiegte, schien dafür zu schockiert zu sein. Sie starrte völlig unverwandt geradeaus; niemand beachtete sie, sie beachtete niemanden. Dabei war sie so blass unter ihrem kurzen mausbraunen Haar, dass ich Angst bekam, sie im nächsten Augenblick vom Stuhl kippen zu sehen. Sie atmete einige Male tief durch, dann bahnten sich auch bei ihr die ersten Tränen einen Weg an ihrer markanten Nase vorbei über das flächige Gesicht. Erst als ich hörte, wie Raphael neben mir aufstand, wich meine Besorgnis um sie der Neugier darauf, wie die Reaktionen auf neuerliche Ermittlungen der Kripo wohl ausfallen würden.
Raphael richtete sich zu seiner vollen Größe auf und lächelte verhalten und erstaunlich mitfühlend in die Zuschauerreihen. Dann stellte er uns mit knappen Worten vor und kündigte für die nächsten Tage die Fortführung der Befragungen innerhalb der Firma an. »Herr Wahlner ist bedauerlicherweise ertrunken, er wurde gestern in Bach aus der Donau geborgen«, erklärte er.
Das Model schluchzte wieder auf, als wäre die Vorstellung des Wassertods noch schlimmer als alles, was sie sich bis dato ausgemalt hatte. Raphael gab ihr einen Augenblick, um sich wieder zu beruhigen, setzte sich auf den Tisch und musterte die Anwesenden. »Nach dem derzeitigen Ermittlungsstand ist es wahrscheinlich, dass er direkt am Abend der Weihnachtsfeier in die Donau gestürzt ist. Um seinen Tod rekonstruieren zu können, brauchen wir also in den nächsten Tagen Ihre Hilfe.«
Wir hatten vereinbart, Wahlners prämortale Verletzungen und unsere daraus resultierenden Schlussfolgerungen erst in den einzelnen Gesprächen zu erwähnen. Natürlich würde sich diese Information trotzdem wie ein Lauffeuer verbreiten, doch hegten wir die Hoffnung, vorher die eine oder andere spontane – und vielleicht verräterische – Reaktion zu beobachten.
Das schockierte Gemurmel war zwischenzeitlich auf normale Unterhaltungslautstärke angeschwollen, die Blässe aus dem Gesicht der Mausbraunen wich langsam, dafür setzte der kahlköpfige Anzugtyp einen dermaßen gelangweilten Gesichtsausdruck auf, dass es schon beinahe an Provokation grenzte. Das Model weinte nur noch leise vor sich hin, der Farblose genoss es allerdings sichtlich, sie zu trösten. Hoyer schließlich war augenscheinlich immer noch überfordert mit der Situation, verbissen knetete er seine Hände. Wir baten ihn, sämtliche existierenden Fotos der Weihnachtsfeier zu organisieren, und überließen die HEUREKA -Besetzung schließlich ihrer Trauer.
Auf dem Weg nach draußen spürte ich die Blicke unzähliger Augenpaare im Nacken kribbeln.
VIER
»Eigentlich hatte ich ja für kommendes Wochenende einen Anschlag auf dich geplant«, eröffnete mir Raphael und schippte den Berg Schnee, der sich über Nacht angesammelt hatte, vom Dach seines schwarzen Alfas. Wie er angesichts dieser Tätigkeit noch lächeln konnte, fand ich ziemlich rätselhaft – ich jedenfalls stand frierend und übellaunig neben dem Wagen und hoffte, möglichst bald einsteigen zu können, ohne von einer Lawine erschlagen zu werden. Und dabei verfügte Raphael noch nicht mal über professionelles Equipment, sondern benutzte für seine Autowartungstätigkeit ein großes Stück Pappe, wohl ein Relikt seines Umzugs im letzten Jahr, das er pünktlich zum Winterbeginn in den Untiefen des Kofferraumes entdeckt hatte.
»Anschlag?«, fragte ich höflich, wenn auch nur mäßig interessiert.
»Ja«, sagte er, schmiss den Karton lieblos in den Kofferraum zurück und griff nach dem Eiskratzer. Obwohl die Heckscheibenheizung auf Hochtouren lief, hatten sich noch keine nennenswerten Erfolge eingestellt. »Deine Schwiegermutter in spe liegt mir seit Wochen in den Ohren, dass sie dich jetzt endlich mal kennenlernen will.« Er verdrehte dezent die Augen, aber man sah ihm an, dass er es nicht wirklich schlimm fand. Im Gegensatz zu mir. Die Vorstellung eines hochoffiziellen Familieneinführungsbesuchs erschreckte mich jetzt, im Erwachsenenalter, nicht weniger als mit fünfzehn. Weshalb ich Raphael meinen Eltern auch eher nebenbei vorgeführt hatte, ganz ohne Kaffeekränzchen und Fragerunde.
»Wahrscheinlich möchte sie sich bei dir bedanken«, fuhr
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