Donaugrund (German Edition)
Sie wissen?«, fragte sie und nahm einen Schluck aus ihrer Kaffeetasse.
»Am besten alles, Frau Wahlner. Zum Beispiel, ob Ihr Mann von Ihrem Verhältnis wusste. Oder ob Herr Hoyer wollte, dass Sie Ihren Mann verlassen.«
»In Ordnung.« Sie schenkte mir Kaffee nach, stand auf, um das Baby, das sich frei gestrampelt hatte, zuzudecken. Dann setzte sie sich wieder auf die Couch und begann zu erzählen.
Sie hatte schon als Studentin bei HEUREKA gejobbt; Sascha Hoyer kannte sie noch vom Studium, er war an der Uni einer ihrer Tutoren gewesen. Jan Wahlner hingegen lernte sie erst bei HEUREKA kennen, aber es dauerte nicht lange, bis er sich auffällig für sie interessierte. Sie zögerte zunächst, aber als sie nach Abschluss ihres Studiums eine feste Stelle in der Firma angeboten bekam und somit nicht mehr die Gefahr bestand, als »eine, die sich hochgeschlafen hat«, bezeichnet zu werden, ließ sie sich doch auf ihn ein. Die beiden heirateten zwei Jahre später, und nach einem weiteren Jahr wurde Lena geboren. »Bis dahin lief alles nach Plan«, sagte Beate Wahlner.
Dann war es schwierig geworden. Ihr Mann und sie lebten sich mehr und mehr auseinander. Für Beate Wahlner stand die kleine Tochter im Vordergrund, Wahlner selbst konnte mit seiner Familie plötzlich nicht mehr allzu viel anfangen und verbrachte mehr und mehr Zeit in der Firma. Dabei stritten sie nicht, nur die Distanz wurde größer. Und die Gefühle schwanden. Sascha Hoyer hingegen legte in dieser Zeit das Interesse für Lena an den Tag, das Beate Wahlner eigentlich von Jan erwartet hätte. Nach und nach verliebte sie sich in ihn, und genau darauf hatte Sascha Hoyer schon viele Jahre gewartet. »Irgendwann habe ich ihn gefragt, warum er nie ein Wort über seine Gefühle verloren hat.« Sie lächelte.
»Was hat er geantwortet?«
»Dass mich das nicht interessiert hätte.« Mit einem melancholischen Seufzen streifte sie sich das lange Haar hinter die Schulter. »Er hatte wohl recht.«
Nachdem sie sich ihrer Gefühle sicher war, wollte Beate Wahlner klare Fronten schaffen. Sie hatte zwar Sorge, damit die Freundschaft der beiden Männer zu zerstören, aber eine heimliche Affäre führen und Jan hintergehen, das brachte sie einfach nicht fertig. »Also haben Sascha und ich ihm reinen Wein eingeschenkt.«
Wieder stand sie auf, dieses Mal, um Raphael nachzuschenken, der ungeduldig mit den Fingerkuppen auf seinen Oberschenkel trommelte. »Und dann?«
Die Reaktion ihres Ehemanns war ganz anders ausgefallen als erwartet. Beate Wahlner hatte einen cholerischen Ausbruch erwartet, die klassische Wut des Betrogenen und Gekränkten. Oder maßlose Enttäuschung. Stattdessen hatte Jan Wahlner das getan, was er schon längst hätte tun sollen: Eingestanden, dass seine vermeintlich großen Gefühle nach der Geburt Lenas merklich abgekühlt waren. Bezweifelt, dass er in der Lage war, wirklich und dauerhaft zu lieben. Zugegeben, dass er seinem Jagdtrieb schon längst außerehelich nachgegangen war. Aber auch beteuert, dass er sich Beate, wenn auch nicht in Liebe, so doch in Freundschaft verbunden fühlte, sich in ihrer Gegenwart wohlfühlte und ihr nur das Beste wünschte – auch wenn »das Beste« in diesem Fall Sascha Hoyer hieß und sein Kumpel war. Und dann hatte er einen Vorschlag gemacht, den Beate Wahlner zunächst als völlig absurd verworfen, nach einigen Tagen des Nachdenkens jedoch tatsächlich als beste Lösung für alle erachtet hatte: Sie und Jan blieben nach außen hin ein Paar, er akzeptierte ihre Beziehung zu Sascha und ging seinen eigenen Liebschaften nach, aber zu Hause sollte das eingespielte Miteinander, nicht zuletzt wegen Lena, fortgeführt werden.
»Weshalb wollte er das?« Verständnislos schüttelte Raphael den Kopf. Wieder einmal stellte ich fest, dass er wirklich kein Freund von Halbherzigkeit war. »Was hatte Ihr Mann davon?«
»Ein ordentliches Zuhause mit Menschen, die er mag«, antwortete Beate Wahlner leichthin. »Jemanden, der für ihn kocht, die Wäsche wäscht und trotzdem nicht meckert, wenn er spät nach Hause kommt. Und –« Sie brach ab und blickte sinnierend auf ihre langen schlanken Finger.
»Und jemanden, hinter dem er sich verstecken kann, wenn eine seiner Affären doch mal mehr will«, führte ich ihren Satz fort. »Richtig?«
Sie lächelte mir verhalten zu. »Ja, genau daran habe ich gedacht.«
»Und Sie?«, fragte Raphael verständnislos. »Was hatten Sie davon?«
»Finanzielle Sicherheit. Die vertraute Umgebung.
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