Donner: Die Chroniken von Hara 3
Luk.
Rando gab sie ihm, ohne nachzufragen, wofür. Luk nickte dankbar, streifte sie sich über, murmelte: »Ich bin gleich wieder da!«, und lief zu dem Haus mit den Toten.
»Was hat er jetzt schon wieder ausgeheckt?«, stieß Ga-nor aus, der seinen Gefährten am liebsten festgehalten hätte, doch Kallen verhinderte das.
»Dein Freund versucht, uns aus den Glücklichen Gärten herauszubringen«, erklärte er. »Das kann er aber nur, wenn er sich mit dem Reich der Tiefe einlässt. Mit anderen Worten, der wackere Soldat aus der Burg der Sechs Türme hat beschlossen, unter die Nekromanten zu gehen.«
Als Luk zu ihnen zurückgerannt kam, hielt er den Hilss mit beiden Händen weit von sich gestreckt. Es stand ihm ins Gesicht geschrieben, was er dabei empfand.
»Raus mit der Sprache, wo genau ist dieser mistige Dämon?! Antwortet doch! Dieses verfluchte Ding brennt sogar durch die Handschuhe hindurch!«
»Komm mit!«, befahl Rando, wandte sich dann aber noch einmal an Ga-nor und Kallen. »Wartet am Hang mit den Stufen auf uns.«
»Nein!«, widersprach Ga-nor. »Treffen wir uns am Wasserfall. Da habe ich eine Treppe gesehen. Wir müssten den Fels also hochkommen.«
»Einverstanden.«
Dann eilten Rando und Luk zur Bibliothek.
»Ganz schön tief!«, urteilte Luk. »Da müsst Ihr mich festhalten, Mylord!«
Rando packte Luk um die Taille, während dieser sich über das Loch beugte und den Hilss in der Dunkelheit hin und her schwenkte.
Nichts rührte sich.
»Was jetzt?«, fragte Luk entmutigt.
»Wir müssen gehen.«
Schon erschallten, wenn auch noch durch die Entfernung gedämpft, die Stimmen der Elfen, denn die Spitzohren aus dem Haus des Schmetterlings hielten es nicht für nötig, sich zu verbergen. Da platzte mit einem Mal der Boden schmatzend weiter auf. Aus der Dunkelheit der Grube schoben sich fahlweiß schimmernde knochige Pfoten mit drei langen, knorrigen Fingern hervor.
»Meloth steh mir bei!«, stöhnte Luk und wich zurück, stolperte dabei, fiel schmerzhaft auf den Rücken, sprang jedoch gleich wieder hoch. »Das Biest ist aufgewacht!«
Rando schnappte sich ein paar Steine und bewarf damit das Untier, das dort aus der Tiefe kam, Luk schleuderte den Hilss gegen das Monster. Prompt stieß es einen tiefen, dumpfen und unzufriedenen Laut aus.
Luk gab sofort Fersengeld, Rando folgte ihm. Keiner von beiden hegte die Absicht, dem Dämon auseinanderzusetzen, aus welchem Grund sie ihn geweckt hatten.
Ga-nor und Kallen warteten bereits ungeduldig am Wasserfall. Dieser toste derart, dass sie kein Wort miteinander wechseln konnten. Ga-nor zeigte den Hang hinauf, an dem sich die schmale Treppe nach oben schlängelte.
Hintereinander weg erklommen sie die rutschigen Stufen. Da sie unablässig darauf achteten, wohin sie ihre Füße setzten, sahen sie sich kein einziges Mal um. Rechts von ihnen ragte der Felsen auf, links rauschte das Wasser.
Endlich oben angelangt, rangen sie alle nach Atem. Die zerstörten Bauten der alten Stadt lagen weit unter ihnen, eingetaucht in das Licht des fahlen Mondes – und das der zahlreichen Fackeln in den Händen der Elfen, die, einem gewaltigen flammenden Wurm gleich, durch die Straße zogen. Kaum hatte dieser Wurm die Abdrücke der feindlichen Stiefel entdeckt, kroch er flink auf den Platz zu, um dort in kleine Lichter zu zerfallen.
Die Hochwohlgeborenen durchsuchten alle Häuser.
»Früher oder später kriegen sie raus, wo wir sind«, spie Kallen aus.
»Mhm. Aber zunächst stoßen sie auf die Toten in dem Haus – und dann noch auf jemand viel Besseren«, entgegnete Luk.
»Nur fürchte ich, von diesem Biest geht keine allzu große Gefahr für sie aus«, gab Rando zu bedenken. »Schließlich hat es noch nicht mal die Bibliothek verlassen. Wenn der Dämon versagt, müssen wir die Treppe mit eigenen Kräften verteidigen.«
»Die Hochwohlgeborenen könnten uns auch von hinten angreifen. Wenn sie durch den Wald gehen«, warf Ga-nor ein. »Diese Möglichkeit dürfen wir nicht außer Acht lassen. Dann werden wir uns hier nämlich nicht lange halten.«
In diesem Augenblick stürzte endlich die Kuppel der Bibliothek ein. Das Krachen übertönte sogar das Tosen des Wassers. Dichte Staubwolken wirbelten auf. Nun fielen auch die Wände des Baus in sich zusammen. Alle Spitzohren in der Nähe wichen zurück, sodass zwischen ihnen und der eingestürzten Bibliothek eine freie Fläche entstand. Hinter dem Staubvorhang traten ganz langsam die funkelnden Konturen eines gigantischen
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