Donner: Die Chroniken von Hara 3
zusammenklaubte und damit auf den angestammten Besitzer ihres Körpers einschlug, ihn zwang, abermals in tiefen Schlaf zu sinken.
Keiner von denjenigen, die jetzt am Feuer schliefen, konnte sich auch nur vorstellen, wie viel ihr der Kampf gegen die Auserwählten abverlangt hatte. All die Kraft, die sie nach dem Tod Talkis hatte sammeln können, war nun wieder verloren, denn nach wie vor verlangte der Verlust ihres eigenen Körpers einen hohen Preis. Um wenigstens wieder einigermaßen anständige Zauber wirken zu können, würde sie mit Sicherheit eine, vielleicht sogar zwei Wochen brauchen.
Während der Auseinandersetzung am Pavillon hatte Thia befürchtet, vor Kopfschmerz in Ohnmacht zu fallen. Nur mit einer schier übermenschlichen Willensanstrengung hatte sie Angriff um Angriff abgewehrt. Hinzu kam, dass sie bei einer offenen Konfrontation das Moment der Überraschung nicht mehr ausnutzen konnte …
Zum Glück ahnten weder Shen noch Rona etwas von ihrer Schwäche. Der Heiler mochte ja noch auf Ness hören – aber das Mädchen war völlig unberechenbar. Wenn sie von ihrer, Thias, Schwäche erführe, ließ sich nicht abschätzen, auf welch reizende Gedanken sie verfiele. Nicht bei dem inbrünstigen Hass, den sie gegen Thia hegte. Und in ihrer gegenwärtigen Lage konnte sie sich nicht einmal mit dieser kleinen Schreitenden auf ein magisches Duell einlassen. Sollte sie das Mädchen jedoch trotz ihrer Schwäche töten, dann verlöre sie zwangsläufig jenes zarte Vertrauen, das Shen ihr inzwischen entgegenbrachte. Ihn aber brauchte sie noch. Dringend sogar.
Das war ihr an dem Tag, da Talki den Tod gefunden hatte, klar geworden. Als sie den Heiler im strömenden Regen ausgemacht hatte, da hatte sie mit einem Mal gewusst, dass er tatsächlich ihre einzige Chance darstellte, ihr früheres Leben zurückzuerlangen. Vor allem jetzt, nach dem Tod von Talki und dem blonden Weibsbild.
Deshalb hatte sie ihn nicht umgebracht. Deshalb war sie ihm gefolgt.
Als sie dann im Matsch gelegen hatte, die irren grauen Augen des Bogenschützen vor sich, hatte sie für einen Moment geglaubt, er würde ihr den Funkentöter in den Hals rammen. Doch dann hatte sie die Worte gesagt, die sie ihm hatte sagen müssen …
Und sie waren noch nicht einmal gelogen. Auch sie wollte das Gleiche wie er: Rache nehmen. Nur gesellte sich ihrem Rachedurst noch ein anderes, ein viel entscheidenderes Ziel hinzu: Sie musste wieder sie selbst werden.
Dass Ness den Funkentöter noch immer bei sich trug, beunruhigte sie nicht. Zu gegebener Zeit würde sie das Artefakt schon an sich bringen. Ebenso die Pfeile, diese sogenannten Brennenden Fäden.
Und wieder einmal fragte sie sich, was sie mit ihnen allen machen würde, wenn sie ihr Ziel erreicht hatte. Oder – doch da seien die Sterne Haras vor – wenn sie eine Niederlage hatte hinnehmen müssen. Würde sie sie umbringen? Sich für all das rächen, was Shen und Ness ihr angetan hatten? Vermutlich schon …
Mitunter zürnte sie den beiden so sehr, dass sie das Versprechen vergaß, welches sie sich selbst gegeben hatte: sich in Geduld zu fassen. In solchen Momenten fehlte nicht viel, und sie hätte die beiden auf der Stelle getötet. Ohnehin kostete es sie in letzter Zeit all ihre Willenskraft, ihre Wut zu bändigen. Einzig der Gedanke, dass es ihren Untergang bedeutete, ließe sie ihrer Rage die Zügel schießen, half ihr dann noch. Denn mit Shens Tod verlöre sie auch die letzte Hoffnung, den verhassten fremden Körper je wieder zu verlassen.
Das Schlimme war, dass ihr nicht nur blinde Wut zusetzte. Thia verstand grundsätzlich nicht mehr, was in ihr vorging. Zuweilen schlug ihre Stimmung von einer Sekunde auf die andere um. Häufig schnürten ihr Tränen die Kehle zu. Tränen, für die es nicht den geringsten Grund gab. Ob Talki am Ende recht hatte? Veränderte der neue Körper ihr Wesen?
In dieser Sekunde berührte eine weiche Kaninchenpfote scheu ihre Wirbelsäule und tastete sich ängstlich bis zum Hals hinauf. Rasch kehrte Thia zum Lagerfeuer zurück, nahm Ness’ Wasserflasche an sich, die nur noch zu einem Viertel voll war – im Übrigen ihr letztes Wasser –, zwinkerte Yumi zu und stiefelte erneut in Richtung Wald, mied diesmal aber vorsichtshalber die Wegblüten.
Sie spritzte ein wenig Wasser auf den Boden, um ein kleines Silberfenster zu schaffen.
Sofort erschien das Bild. Mithipha saß auf einem Bett, das Haar zu zahllosen Zöpfen geflochten, die Beine nach östlicher Art
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