Donner: Die Chroniken von Hara 3
zugestimmt«, knurrte Woder grimmig wie ein Bär. »Aber heute? Denk nur an all die Verräter, von denen wir wissen. Wer hätte denn je ahnen können, dass Okny den Nabatorern den Schlüssel der Stadt auf einem purpurnen Samtkissen überreicht?! Oder dass ein Teil der Armee von Altz abzieht und es dem Feind damit ermöglicht, uns in den Rücken zu fallen?!«
»Du hast ja recht. Aber verlange nicht von mir, kurzen Prozess zu machen und die beiden zu köpfen. Lass uns erst klären, woran wir mit ihnen sind.«
»Hör mal, ich will dich doch nicht drängen, ihnen das Leben zu nehmen, schließlich sind wir nicht wie die Nabatorer. Trotzdem solltest du sie auf gar keinen Fall auf freien Fuß setzen. Ein frei herumlaufender Nordländer hat nämlich die äußerst unangenehme Eigenschaft, einen gefährlichen Gegner darzustellen … Aber jetzt haben wir lange genug hier im Regen herumgestanden. Lass uns endlich unter einem Unterstand Schutz suchen.«
Rando folgte seinem Onkel ohne jeden Widerspruch.
»Die Männer fürchten sich vor diesem Dorf«, bemerkte Woder nach einer Weile, wobei er eine Krähe beobachtete, die sich gerade, gegen den Regen ankämpfend, mühevoll in die Luft erhob. »Und auch mir gefällt es hier nicht. Dieser Ort ist seltsam.«
»Ich kenne dich gar nicht wieder, Onkel.«
»Ehrlich gesagt, ich kenne mich selbst nicht wieder«, brummte Woder und schwieg eine Weile, bevor er schließlich fortfuhr: »Wenn ich daran denke, wie es aussah, als wir hier eingetroffen sind. Nirgendwo auch nur eine Menschenseele, nur diese Gehenkten, an denen bereits die Vögel nagten. Sie sind vermutlich sechs oder sieben Tage tot. Und alle Häuser leer …«
»Zu bedauerlich, dass wir keinen guten Fährtenleser unter uns haben. Der hätte uns vielleicht sagen können, was hier geschehen ist.«
Die Männer hatten neben einer der Scheunen Blut entdeckt, aber niemand hatte zu sagen gewusst, ob es sich dabei um das eines Menschen oder eines Tieres handelte. Zwar gab es zahlreiche Spuren, doch waren sie alt und kaum noch zu erkennen. Dennoch vermuteten die Soldaten, dass sich bis auf die Leichen am Galgen alle Dorfbewohner in den Wald hatten retten können.
»Was, wenn die Bauern zurückkommen?«, fragte Woder.
»Davon gehe ich nicht aus. Sie dürften sich hüten, sich in die Nähe bewaffneter Männer zu wagen. Nein, ich glaube, sie warten ab, bis wir weiterziehen.«
»Trotzdem sollen die Posten die Augen offen halten.«
»Ich habe bereits entsprechende Order gegeben.«
Jurgon befand sich nicht mehr am Glockenturm. Rando öffnete die Tür, trat ein, sah sich in dem Raum um und entdeckte in der hinteren Ecke eine grob gezimmerte Wendeltreppe. Unter dem kläglichen Knarzen der Stufen machte er sich an den Aufstieg.
Als er es halb geschafft hatte, rief von oben jemand, wer da sei. Er nannte seinen Namen und brachte das letzte Stück so langsam hinter sich, dass er nicht außer Atem geriet. Einer der Bogenschützen, die hier Wache hielten, saß auf den Stufen und nagte an einem großen Stück harten Brotes. Sein Gefährte hielt bibbernd Ausschau, denn hier oben wehte ein scharfer Wind. Den Langbogen hatte er gegen die hohe Brüstung gelehnt.
Der Ritter legte den Kopf in den Nacken und betrachtete die alte Glocke und das frei hängende Seil.
»Es ist alles ruhig«, meldete der Wachtposten.
Rando knüpfte die Flasche vom Gürtel, an deren Boden noch etwas Schnaps plätscherte. »Nehmt einen Schluck. Gegen die Kälte.«
Der Soldat nickte dankbar und nippte ein wenig am Schnaps, um ihn anschließend an seinen Gefährten weiterzureichen. Rando besah sich derweil die Umgebung: die graugelben Dächer der Häuser, den braunen Schlamm überall, die kahlen Gemüsegärten. Im Westen floss an einer Mühle ein Fluss. Der anhaltende Regen hatte ihn anschwellen lassen und die umliegenden Wiesen in einen unpassierbaren Sumpf verwandelt. Im Osten bot sich ein ähnliches Bild, sodass die vom Regen gefluteten Felder ein natürliches Hindernis bildeten. Hinter ihnen erhoben sich Lehmhügel, im Norden und Süden schlossen Wälder an.
»Der Wald bereitet mir Sorgen«, erklang mit einem Mal eine leise Stimme in Randos Rücken. Er fuhr erschrocken zusammen, denn er hatte nicht gehört, wie jemand nach oben gekommen war. Es war der Befehlshaber der Schwertträger, der Morassier Iltz. »Die Dorfbewohner haben mit Sicherheit Pfade angelegt, da könnte sich mühelos jemand anschleichen. Auch von der Straße nach Osten könnte Gefahr drohen, ebenso
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