Donner: Die Chroniken von Hara 3
lernst du endlich, die Kraft, die dir von der Natur geschenkt wurde, vernünftig einzusetzen?!«
Hinter mir polterte etwas. Ich wirbelte herum. Einer der Kristalllüster, der wie ein Schiff aussah, war zu Boden gekracht. Gerade folgte ihm der nächste.
»Ist das dein Werk?«, wollte ich von Typhus wissen.
»Wie kommst du denn darauf? Dahinter wird sicher dein Freund Yumi stecken!«, spie sie aus. »Ness, ehrlich, wessen Werk sollte das sonst sein?! Damit ist den Nabatorern der Weg versperrt. Und wenn sie sich auf der Suche nach einem Umweg verlaufen, soll mir das auch recht sein.«
Das nächste Stockwerk bot einen völlig anderen Anblick. Es war sauber, hell und formvollendet. Typhus brachte dieser Schönheit jedoch nicht den geringsten Respekt entgegen. Mit einer einzigen Bewegung ihrer Hände zerstörte sie eine zweiflüglige Tür, trat in einen Saal und sah sich um.
»Bist du hier schon einmal gewesen?«, fragte sie Shen.
»Ja«, antwortete er. »Wir müssen geradeaus weiter.«
Da bebte plötzlich der Boden unter unseren Füßen. Die Wände warfen das Echo einer Explosion zurück, zu der es in einiger Entfernung gekommen sein musste.
»Das war Rona!«, rief Shen entsetzt.
»Zumindest war es ein lichter Funke«, bestätigte Typhus.
»Das kam vom Turm des Eisvogels!«, schrie Shen.
Dann erklang ein langgezogenes Heulen. Von der Decke rieselte bläulicher Putz. Ein Knistern und erneutes Gepolter, bei dem die Wände wackelten, schlossen sich an.
»Das Mädchen geizt ja nicht mit seinen Kräften«, stellte Typhus fest. »Da muss es heiß hergehen.«
»Wir kommen bestimmt zu spät!«, stammelte Shen, der kreidebleich geworden war. »Das ist viel zu weit weg!«
Ich blickte in einen Gang, der im rechten Winkel abzweigte, und erschauderte. Durch ihn hatte mich Garrett geführt.
»Hier lang!«, befahl ich, meiner Eingebung folgend.
»Nein«, widersprach Typhus. »Dieser Gang führt in den Turm der Prophezeiungen.«
»Nein! Ness hat recht!«, schrie Shen. »Der Turm der Prophezeiungen liegt ganz nahe beim Turm des Eisvogels. Da können wir rüberspringen!«
»Bitte?!«
»Als wir in der untersten Klasse waren, haben wir das ständig gemacht. Das ist ganz einfach! Ihr werdet schon sehen!«
Er lief in den Gang hinein. Typhus folgte ihm fluchend. Schon bald erreichten wir jenen Raum mit Balkon, den ich ebenfalls aus meinem Traum kannte. Shen kletterte auf die Brüstung, blickte nach links und sprang. Nach ihm erstieg ich das Geländer, besah mir dann aber zunächst in aller Ruhe die Lage.
Beide Türme standen so eng beieinander, dass es wirklich einem Kinderspiel gleichkam, auf den etwas unter mir liegenden Balkon des Nachbargebäudes zu springen.
Shen winkte uns zu. Typhus fluchte noch einmal, erklomm die Brüstung und sprang zum Nachbarturm. Nun folgte ich ihrem Beispiel.
»Wir müssen ein Stockwerk tiefer!«, erklärte Shen.
»Dann los!«, verlangte Typhus und gab ihm einen Schubs.
Im Nu erreichten wir unser Ziel. Hier hing der Staub von den zerschmetterten Wänden als dichter Vorhang in der Luft. Unerbittlich fraß er sich in unsere Lungen. Schützend hielt ich mir den Unterarm vor die Nase. Als dann vor uns ein Schatten auftauchte, fuchtelte Typhus mit beiden Armen. Ein Schrei erklang. Trotzdem schoss noch ein grüner Strahl an meinem Kopf vorbei. Zum Glück zerschellte er an Shens Schild, den der Zusammenprall allerdings beinahe von den Füßen riss.
Typhus stieg über den toten Nekromanten, der in einer stinkenden Brühe zerfloss, und schleuderte einen weiteren Zauber. Abermals schrie jemand – und fiel krachend zu Boden.
»Rona! Wir sind’s!«, rief Typhus.
»Aus, du Hund«, kam die Antwort.
Daraufhin erschien in der Tür die massige Gestalt Ghbabakhs. »Die Zauberer hätten uns fast zerkwetscht. Wurde also höchste Zeit, dass ihr kwommt!«
Rona stand kreidebleich und leicht schwankend vor uns. Shen war sofort an ihrer Seite und fasste sie am Ellbogen.
»Ich habe einen von denen umgebracht. Aber diese beiden …«
»… gingen über deine Kräfte«, schloss Typhus unbarmherzig. »Du schuldest mir zwar noch eine Antwort auf die Frage, was dich bitte schön bewogen hat, blindlings in die Schule zu stürmen, aber im Moment fehlt uns leider die Zeit, das zu klären. Es befinden sich nämlich mindestens neun Auserwählte auf dem Weg zu uns. Ich persönlich habe nicht die Absicht, mich auf einen Kampf mit ihnen einzulassen.«
»Aber wir dürfen nicht fliehen!«, schrie das Mädchen.
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