Donner unter der Kimm
Sir«, sagte Allday verzweifelt.
»Fangen Sie an«, sagte sie leise. »Sofort!«
Allday stieß einen tiefen Seufzer aus, ergriff ihr Haar und zückte die Schere.
Bolitho sah die schwarzen Locken zu Boden fallen. »Ich gehe jetzt an Deck.« Er drückte ihre Hand, die trotz der Schwüle in der Kajüte eiskalt war. »Allday kümmert sich um Sie.« Dann beugte er sich vor und küßte sie sanft auf die Wange. »Ihr Mut wird uns allen Kraft geben, Zenoria.«
Später, als er zu Keen aufs Achterdeck trat und zusah, wie sich der Hafen mit den weißen Festungsanlagen vor ihnen öffnete, mußte er seine Besorgnis mit Gewalt unterdrücken.
Salutschüsse begannen über das stille Wasser zu hallen, und auf der nächstgelegenen Batterie dippte man die Flagge. In Malta lagen zahlreiche Küstenfahrzeuge und mehrere große Kriegsschiffe. Bolitho hob ein Teleskop und hielt es vorsichtig an sein gutes Auge. Am nächsten zum Kai lag ein eleganter Zweidecker, von dessen Besanmast müde die Flagge eines Konteradmirals flatterte.
Ihm schnürte es die Kehle zu, denn das war eindeutig die
Benbow.
Vor seinem inneren Auge tauchten Bilder auf. Wann war er selbst Konteradmiral gewesen? Vor drei Jahren in der Ostsee, als sein Neffe Adam Dritter Offizier und Herrick Flaggkapitän seines Schiffes gewesen war.
Von dem schweren, schwarzbraunen Rumpf wanderte sein Blick zu einer stämmigen Brigg, die viel näher zu ihnen verankert war. Ungeduldig wartete er, bis sie in der sanften Brise an ihrem Ankertau herumgeschwojt war und die Sonne ihr vergoldetes Heck aufblitzen ließ. Dann erkannte er aufatmend ihren Namen:
Lord Egmont.
Sie war eines der ältesten Falmouth-Frachtschiffe, und er hatte sie schon als Fähnrich gekannt. Mit ihrer Anwesenheit hatte er gerechnet, da ihr Name in seinen Instruktionen von der Admiralität aufgetaucht war. Doch Wind und See oder der Feind hätten alles ändern können. Und selbst jetzt noch … Er setzte das Glas ab, und die Brigg verschwand wieder in der dunstigen Ferne.
Der Pulverdampf des Saluts hing noch über den Rahen, als Matrosen herbeigepfiffen wurden, um die beiden Kutter zu Wasser zu lassen für den Fall, daß der Wind für die Wende am Ankerplatz nicht stark genug war. Ein Wachboot lag reglos im glitzernden Wasser; wahrscheinlich interessierte sich nur seine Besatzung für ihre Ankunft. Kriegsschiffe waren hier eine alltägliche Erscheinung, Aufmerksamkeit erregten nur die Truppentransporter und Postschiffe aus England.
Keen legte die Hände um den Mund. »Klar zum Fallenlassen, Mr. Paget!«
Bolitho starrte zum Ufer mit der uralten Festung und seinem geschäftigen Markt. Ein Kriegshafen, wimmelnd wie ein Ameisenhaufen. Und ein gutes Betätigungsfeld für Spione.
Keen sagte: »Die
Firefly
ist bereits ausgelaufen, Sir.«
»Aye.« Zumindest Adam war aus der Sache heraus, ganz gleich wie hilfsbereit er sich auch gezeigt hatte. Liegt diese Solidarität daran, daß wir alle aus Cornwall sind? überlegte er. Ein hoher Offizier hatte ihm einmal ins Gesicht gesagt: »Aus Cornwall? Ihr seid doch alle Piraten und Rebellen!«
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis
Argonaute
endlich mit säuberlich aufgetuchten Segeln vor Anker lag. Sonnendächer wurden aufgespannt, und dann erwartete die Besatzung die kommenden Ereignisse.
Bolitho sah fremde Boote auf sie zuhalten: der Wachoffizier, ein Schiffsausrüster von der Werft, ein verlegen dreinblickender Fähnrich von der Garnison, der die Zofe Millie abholen kam. Sie schien nicht von Bord zu wollen und klammerte sich trotz des anzüglichen Grinsens der Matrosen an ihren Korporal, als gälte es ihr Leben.
Keen sah vom Poopdeck aus Leutnant Stayt mit dem Bootsmann sprechen. Dann lösten Matrosen die Verzurrung der Admiralsbarkasse. Bolitho wollte an Land, früher als erwartet, was ihn unbehaglich stimmte.
Der Wachoffizier salutierte und reichte Keen einen amtlich aussehenden Umschlag. Dabei wirkte er betreten, als führe er einen Auftrag aus, der ihm gegen den Strich ging. Es handelte sich um eine Vorladung ins Hauptquartier: Keen hatte in zwei Tagen vor einem Tribunal der Admiralität zu erscheinen. Der befehlshabende Flaggoffizier mußte sie sofort nach Sichtung der
Argonaute
abgesandt haben.
Stayt wartete, bis das Wachboot abgelegt hatte, und ging dann nach achtern.
»Ich soll Sir Richards Depeschen an Land bringen, Sir.« Keen nickte. Stayt würde also die Barkasse nehmen. Ihm fiel auf, daß sie von Bankart, dem Zweiten Bootsführer, kommandiert wurde.
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