Donner unter der Kimm
Ungewöhnlich, dachte er. Normalerweise führte Allday die Barkasse, wenn sie im Hafen oder unter den Augen der Flotte lagen.
Er hörte Midshipman Hickling um Erlaubnis bitten, mit der Gig zu einem in der Nähe liegenden Frachtschiff fahren zu dürfen. Paget war einverstanden, als er erfuhr, daß auch eine Nachricht vom Admiral mitgesandt werden sollte.
Keen schaute zur Flagge auf. Wenn sie wieder eingeholt wurde, mochte dies das Ende für sie beide bedeuten.
Midshipman Sheaffe kam eilig die Leiter zum Poopdeck hoch und meldete: »Empfehlung vom Admiral, Sir: Er erwartet Sie um acht Glasen.«
Keen biß die Zähne zusammen. Wenn Bolitho gute Nachrichten für ihn gehabt hatte, wäre er sofort gerufen worden.
Gereizt rief er Paget zu: »Lassen Sie alle Boote aussetzen und den Rumpf untersuchen.« Es war allerdings unwahrscheinlich, daß Schäden aus dem kurzen Gefecht übersehen worden waren. Er bürdete den Männern aus Zorn überflüssige Arbeit auf und wußte das auch.
Endlich hörte Keen die Schiffsglocke von der Back schlagen. Es wurde Zeit.
Plötzlich dachte er an seine Heimat Hampshire. Dort war es nun kalt und wahrscheinlich regnerisch; die Dorfbewohner bereiteten sich auf den Winter und möglicherweise auf einen Landungsversuch der Franzosen vor. Was würden seine Geschwister sagen, wenn sie von dem Kriegsgerichtsverfahren gegen ihn erfuhren? Seinen Vater würde es erschüttern, besonders da er von Anfang an nicht gewollt hatte, daß sein jüngster Sohn zur Kriegsmarine ging.
Als Keen in den Laternenschein der Achterkajüte trat, sah er zu seiner Überraschung, daß Bolitho seinen langen Bootsmantel trug, und glaubte einen Moment lang, Stayt habe seine Befehle mißverstanden.
Bolitho aber sagte gelassen: »Ich gehe an Land, Val, und nehme dazu Ihre Gig, falls Sie nichts dagegen haben.« Er lächelte rasch und nervös. »Das ist nicht ganz so förmlich.«
»Selbstverständlich, Sir. Das Schiff ist gesichert.«
Allday stapfte durch die Kajüte und nahm Bolithos alten Degen vom Halter. Keen überlegte. Demnach wollte Bolitho also nicht den Admiral aufsuchen, der auf Malta den Oberbefehl hatte. Für förmliche Besuche wurde es ohnehin etwas spät.
Bolitho rückte die Waffe an der Seite zurecht. »Ehe ich den Fuß an Land setze, statte ich der
Lord Egmont
einen Besuch ab«, sagte er. Keen nickte. Er hatte mit angesehen, wie das Frachtschiff zum Auslaufen vorbereitet wurde. An Deck hatten Männer zusätzliche Ladung verzurrt, vermutlich die private Beute des Kapitäns.
»Wir bringen es am besten rasch hinter uns, Val«, meinte Bolitho. Er hob die Stimme: »Sind Sie fertig?«
Keen starrte verdutzt, als ein Midshipman durch die gegenüberliegende Tür kam. Dann begriff er.
»Ich wußte nicht, daß du …«
Zenoria sah ihn fest an. Sie war in die komplette Uniform eines Midshipman gekleidet und trug sogar eine vergoldete Seitenwaffe. Keen trat mit offenen Armen auf sie zu, sie nahm den Hut ab, und er sah, was Allday mit ihrem Haar angerichtet hatte. Es war kurz und im Nacken säuberlich mit einer schwarzen Schleife zusammengebunden, wie es sich für einen ›jungen Gentleman‹ gehörte, der im Begriff war, auf dem Boot seines Admirals das Kommando zu übernehmen.
Bolitho beobachtete die beiden und fühlte sich plötzlich wohl, wenn er an sein Vorhaben dachte. »Ich gehe an Deck«, sagte er. »Keine Ehrenwache, klar?«
Als die Tür sich schloß, nahm Keen sie in die Arme. Obwohl sie sich das Hemd ausgestopft hatte, um ihre Figur zu kaschieren, spürte er ihr Herz schlagen.
»Du hast mir nichts davon gesagt.« Erst jetzt ging ihm auf, was Bolitho getan hatte und warum er beim Einlaufen in den Hafen plötzlich so erregt gewesen war. Die
Lord Egmont war
auf der Heimreise nach Falmouth und dort ein so vertrauter Anblick wie die Burg Pendennis.
»Er bat mich, Schweigen zu bewahren.« Als sie zu ihm aufschaute, schimmerten ihre Wimpern im weichen Licht.
»Ich habe einen Brief von ihm und etwas Geld dabei, für den Fall…«
Er zog sie noch fester an sich. Er hatte um ihre Sicherheit gebetet, selbst wenn das bedeutete, daß er sie verlor. Doch nun, da der Augenblick der Trennung gekommen war, fand er ihn fast unerträglich.
»Du mußt jetzt tapfer sein, mein Herz«, sagte sie leise.
»Für uns beide.«
Ein Boot schabte an der Bordwand entlang, und Keen hörte Alldays Stimme.
»Wenn ich wieder in England bin…«
Sie nahm sein Gesicht in die Hände. »Ich warte dort auf dich.« Sie schaute ihn fest
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