Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)
Surfern für den größten Wettkampf des Jahres und
starrte auf die Berge von Brettsäcken, Matten und Segeln.
»Ja, natürlich
gehört das gesamte Material zu mir!«
Die Gepäckwaage
addierte alles zur Realität einer wahrhaftigen Dekadenz: 870 Kilogramm.
Was ist
bloß aus diesem Jack-London-Feeling geworden, von dem Kilian immer so geschwärmt
hatte, hämmerte es damals in seinem Kopf, während er der Frau in blauer Uniform
erklären musste, dass er keine Aufgebühr bezahlen müsse, weil vorher telefonisch
eine Pauschale vereinbart worden war. Bereits auf dem Flug, schon lange vor der
Ankunft in San Francisco, plagten ihn organisatorische Fragen: Wo kann ein passendes
Transportmittel besorgt werden? Wie wird alles auf dem Dachgepäckträger verstaut,
bevor die Mitarbeiter der Autovermietung in Panik geraten?
In ihm formulierte
sich ein unmissverständliches Anklageplädoyer: Was ist nur mit diesem Sport passiert?
Was wir hier durch die Gegend karren ist zu viel, es ist einfach viel zu viel!
I’m pickin’
up good vibrations
She’s giving me excitations
Der schrille
Klingelton schreckt Oleander aus dem Schlaf. Freja hat ihm den Song der Beach Boys
gegen seinen Protest auf sein Handy geladen. Mit geschlossenen Augen tastet er vom
Sofa aus nach der immer wiederkehrenden Horrormelodie, packt das Gerät, als wolle
er es zerquetschen, und nimmt das Gespräch entgegen.
»Heeeh,
Ole, hier ist die perfekte Welle! Bunker Beach, echt geil! Komm in die Hufe, alter
Ackergaul!«, meldet sich eine männliche Stimme.
»Arne?«,
fragt Oleander schlaftrunken und braucht einen Moment, um innerlich auf Englisch
umzuschalten.
»Wer sonst?
Komm her, hier geht es gerade ab!«
»Woher weißt
du, dass ich in Dänemark bin?«
»Habe vorhin
deine Karre vor dem Strandhotel gesehen. Los, Alter, quassle nicht so viel, schwing
lieber deinen Arsch hierher.«
»Sind die
Jungs von Hawaii da?«
»Hier ist
voll die Party, Alter! Alle Kumpel sind da, Niels, Erik, Knud, die du von Hawaii
kennst, und eine verrückte Truppe aus Ringkøbing. Wie sagst du immer so schön: Fürchte
Gott und folge der Landstraße!«
»Okay, bin
schon auf dem Asphalt!«
Oleander
setzt sich auf, reckt seine Glieder und schaut durch das Fenster auf das Heer der
Kumuluswolken, das mit seinen blumenkohlartigen Helmen über den blauen Himmel zieht.
Wechselnde
Winde sind angesagt, spricht seine innere Stimme. Er zieht den blauschwarzen Neoprenanzug
aus seinem Seesack, nimmt eines von Frejas Brettern aus dem Regal und verstaut alles
in seinem Auto. Ganz mit dem Surfen aufzuhören ist für Oleander nie die Frage gewesen,
aber das angehäufte Material eines Profi-Sportlers, das ist der Konsumterror des
Ruhms. Um in vollkommene Harmonie mit der Natur zu kommen, reicht ein Brett und
eine gute Welle.
Die mächtigen
Bunkerruinen, die das Meer über die Jahre aus den Dünen herausgewaschen hat, liegen
wie gefährliche Riesenkäfer im Uferbereich und trotzen mit ihren grauen Betonpanzern
dem Meer. Der Bewehrungsstahl, der alten Wunden gleich unter abgebröckeltem Gestein
hervorschaut, rostet in der Salzluft und sickert als rotbraunes Sekret an den noch
glatten Flächen hinunter. Eine der Maschinengewehrstellungen aus dem Nachlass des
zweiten Weltkriegs, die den Surfer Point am ›Bunker Beach‹ entscheidend mitbestimmt,
ist nach links geneigt in den Sandstrand eingesunken. Der Beton ist mit Graffitis
übersät, die sich von Jahr zu Jahr verändern.
Die Brandung
kommt gewaltiger herein, als Oleander es erwartet hat. Draußen auf dem Wasser ist
es düster. Die öligen Wolken, die über das Meer herandrängen, haben die Farbe von
alter Seife und tauchen jeden ansteigenden Swell in dasselbe Licht. Die kleine Surfergruppe
hinter der schäumenden Uferbrandung paddelt seewärts den heranrollenden Wellen entgegen.
Oleander kämpft sich durch die Gischt, befindet sich in wenigen Minuten zwischen
den Mädels und Jungs, die wie ein Schwarm Fische im Einklang schwimmen und sich
gegenseitig necken und veräppeln.
»Heeeh,
Arne, du schwappst hier rum wie ein alter Teebeutel im Wasserglas!«
»Und du?
Du paddelst wie eine Sattelrobbe ohne Sattel und mit viel zu kleinem Schwanz!«
Oleander
spürt eine euphorische Stimmung in sich aufsteigen, versucht die abtastenden Seitenblicke
untereinander, jede angehobene Augenbraue, zu deuten, um den richtigen Augenblick
nicht zu verpassen, wenn der richtige Swell unter ihm anwächst wie eine unendlich
große Lunge, die tief Luft einholt.
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