Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)
Beide starren
fast besinnungslos vor Freude aus dem Fenster des angeheuerten Wagens auf den Vulkan,
der aus der Insel in die Höhe ragt. Es geht durch endlose Zuckerrohrfelder, und
die verwelkten Ananassträucher und Guaven verströmen einen exotischen Duft. Die
Nacht ist so dunkel wie ihr Schlaf. Der Klang der Wellen, die leise über die Kieselsteine
schlürfen, öffnet am nächsten Morgen ihre Augenlider.
»Das ist
Hawaii!«, kreischt Oleander schrill und hysterisch, damit er glauben kann, was er
beim Blick aus dem Fenster sieht. »Heeeh, kneif mich mal!«
Das Meer
strahlt aus der Tiefe indigoblau, zieht spiegelglatt eine Linie unter den Himmel.
Beiden wird klar, das ist nicht gerade der optimale Tag zum Surfen. Vor der Tür
des Appartements kratzen sie das harte, schmutzige Wachs von den Decks und beschichten
sie neu. Mit den Surfbrettern unterm Arm und dem Geruch von Paraffinwachs in der
Nase, marschieren sie den Strand entlang, bis sie völlig frustriert sind, es sich
aber nicht zu sagen wagen.
»Tragt ihr
ein wenig eure Boards spazieren?«, ruft ein ziegenbärtiger Kerl mit Perlen im langen
Haar. Er lehnt sich aus dem Seitenfenster seines rostigen VW-Kombis.
»Klar, die
Dinger brauchen täglich ihre drei Stunden Auslauf«, brüllt Kilian wütend zurück.
»Und den
Rest der Zeit? Was macht ihr da?«, feixt die Ziege mit breitem Grinsen, während
sein Wagen langsam neben ihnen her fährt.
»Da suchen
wir ein billiges Zimmer und schöne Brandung!«, sagt Oleander und versucht, seine
resignierte Stimme zu kaschieren.
»Paia, Jungs,
ihr solltet euch von hier nach Paia absetzen.«
»Hast du
zwei Plätze auf der Ladefläche?«
Der Mann
macht eine kurze Handbewegung, und wenig später rauscht sein Wagen durch die Ananasfelder
von Dole. Meilenweit sind nur kleine stachlige Stauden mit winzigen Früchten zu
sehen. In Paia, dem ehemaligen Hippiestädtchen, finden sich an jeder Ecke noch Überbleibsel
aus jener legendären Zeit. Bärtige Rucksacktouristen schleichen durch die von Mauern
umsäumten Straßen, die voller kleiner Shops und Surfer-Läden sind. Kilian und Oleander
mieten von einem dürren Vietnamveteranen, wie er sich selbst bezeichnet, eine Strandhütte
für 350 Dollar im Monat. Er hat eine blutunterlaufene Narbe quer über der linken
Wange, trägt eine ausgebleichte Uniformjacke, und vor seiner nackten Brust hängt
eine ovale Erkennungsmarke.
»Ich kann
keinen Stress mit den Behörden gebrauchen, Jungs. Keine Scheißdrogen, sonst seid
ihr draußen!«, droht er und nimmt einen Schluck aus der Bierflasche, die aussieht,
als wäre sie an seine Hand angewachsen. »Wisst ihr genau, dass ihr schon 18 seid?«
»In Deutschland
sehen alle Menschen jünger aus«, versichert Kilian süffisant. Das findet der Dürre
nicht lustig, vermietet ihnen aber trotzdem die Unterkunft.
Die türkisfarbenen
Wasserwände, nur einige 100 Meter vor ihrer Tür, gleichen den Bildern aus den Surfer-Magazinen,
die in ihren Zimmern auf Eiderstedt an die Wände gepinnt waren. Sie stehen zwischen
Smashball spielenden Bikinimädchen ehrfürchtig am Strand und sehen, wie braungebrannte
Typen auf Brettern perfekte Gischtfächer in die Wellen schneiden. Das Warten ist
vorbei, Kilian und Oleander legen sich auf ihre Surfboards und paddeln mit Leibeskräften
dem Horizont entgegen. Doch sie kommen nicht weit, schon nach wenigen Metern kracht
ein Wasserberg über ihnen zusammen. Oleander schnappt im weißen Schaum nach Luft,
schluckt Salzwasser und findet sich an demselben Fleck wieder, an dem er gerade
noch das Meer erobern wollte.
»Kooks!«,
rufen ihnen ein paar Hawaiianer höhnisch zu und schütteln sich vor Lachen.
Jeden Tag,
mehrere Stunden lang, beziehen die beiden Freunde Prügel im Schnellwaschgang der
Meeresspülung. Die Wellen stürzen tosend heran wie eine Elefantenherde, die alles
niederwalzt. Gegen Abend kehren sie meist geschunden und groggy in ihre Strandhütte
zurück.
»Mach dir
keinen Kopf, Ole, der Weg ist das Ziel«, beteuert Kilian jeden neuen Morgen mit
dem Mut der Verzweiflung, während Oleander noch aus seinem Schlafsack ins Sonnenlicht
blinzelt.
An dem Morgen,
als sie sich zu schlapp fühlen, um ihre Körper über den Strand zu schleppen, hält
direkt vor ihrer Hütte ein verrosteter VW-Kombi, einer Fata Morgana gleich, in der
Morgensonne. Eine Gruppe Frauen und Männer stürmt in Richtung Meer davon, taucht
durch die Wasserwände und ist bald außerhalb der schäumenden Uferbrandung. Beschämt
schauen die
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