Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)
hat er in letzter Zeit so oft über seine
Kindheit nachgedacht. Er muss an die alten, aufgeschnappten Parolen denken, die
im deutschen Sprachgebrauch überlebt haben: So jemand wie dich sollte man ›vergasen‹,
oder ›so was wie dich hat man früher in der Pfeife geraucht‹.
Wie oft
hast du solche Sätze unüberlegt benutzt, damals als Jugendlicher, denkt er, steigt
die Treppe zur Polizeiinspektion hinauf und wäre beinahe ohne einen Gruß an Susan
Biehl vorbei in die kleine Teeküche marschiert. »’tschuldigung«, ruft er ihr nach.
»Ich war grade in Gedanken.«
Die Frühbesprechung
startet, als wäre er gar nicht fort gewesen. Swensen hört nur mit halbem Ohr dem
SOKO-Chef zu, schenkt seinen grünen Tee ein und schaut zu Silvia Haman hinüber,
die ebenfalls gelangweilt an die Pinnwand starrt. Auf dieser hat sich in ihrer Abwesenheit
nicht das Geringste verändert.
»Was gibt
es für Erkenntnisse aus Dänemark?«, fragt Jean-Claude und wendet sich an Silvia.
»Ladies first!«
»Nichts
wirklich Handfestes, wenn du mich fragst«, beginnt Silvia. »Immerhin haben wir endlich
Kilian Martens aufgespürt. Der hat für die Tatzeit kein einwandfreies Alibi, aber
es gibt auch keine Beweise, womit wir ihn festnageln könnten. Außerdem fehlt mir
persönlich auch ein Motiv. Warum sollte er einen alten Freund umbringen? Nur, weil
sie sportliche Konkurrenten waren? Das mit dem Motiv gilt übrigens auch für alle
anderen Personen, mit denen wir gesprochen haben.«
»Es soll
einen Streit zwischen Eschenberg und Niels Skov gegeben haben«, ergänzt Swensen.
»Skov wirft Eschenberg vor, dass er ihm eine Erfindung gestohlen und als Patent
angemeldet hat.«
»Das könnte
doch ein Motiv sein«, hakt Jean-Claude nach.
»Das ist
richtig«, bestätigt Silvia Haman. »Aber der Mann hat seiner Wut freien Lauf gelassen.
Das hätte er bestimmt nicht getan, wenn er der Mörder wäre. Hunde die bellen, beißen
nicht.«
»Es hat
sich bestätigt, dass Eschenberg mit der Dänin Freja Sjøqvist eine intime Beziehung
hatte. Es stimmt genauso, dass Frau Sjøqvist ein Baby von ihm erwartet. Sie will
aber nichts mit der Familie Eschenberg zu tun haben.«
»Und welchen
Grund hat sie genannt?«, fragt Jean-Claude irritiert.
»Keinen
für mich ersichtlichen«, räumt Swensen ein. »Es sei denn, die Frau weiß etwas über
die Vergangenheit von Heinrich Kreuzhausen, was uns noch nicht bekannt ist.«
»Der alte
Kreuzhausen? Was soll denn eine junge Dänin über den wissen?«
»Nun, der
Mann war während des Krieges in Dänemark. Wir kennen das Foto aus der Zeitung, auf
dem er mit Feldmarschall Rommel in Hanstholm zu sehen ist. Mit Hilfe der dänischen
Polizei haben wir dazu etwas mehr herausbekommen. Die Großmutter von Frau Sjøqvist
lebte zur selben Zeit in Hanstholm. Vielleicht ist ihr der junge Kreuzhausen begegnet.
Könnte doch sein, oder?«
»Natürlich
könnte das sein! Doch selbst wenn, was hat das mit unserem Mordfall zu tun?«, fragt
Jean-Claude leicht genervt.
»Das habe
ich Jan schon öfter gefragt«, schlägt Silvia in die gleiche Kerbe. »Aber der liebe
Kollege hält vehement an seinen Ahnungen fest. Da kann man nichts machen.«
»Du vergisst
dabei die Tatsache, dass eine Nonne aus Deutschland an die Großmutter von Freja
Sjøqvist geschrieben hat, die sich übrigens vor vier Jahren umbrachte. In diesem
Brief wird von einem schrecklichen Ereignis gesprochen, das der Großmutter während
der Besatzungszeit der Deutschen zugestoßen sein soll.«
»Eine Nonne
aus Deutschland?«
»Diese Nonne
ist Dänin, der Brief wurde in Dänisch verfasst. Sie muss eine Jugendfreundin der
Großmutter gewesen sein.«
»Wann wurde
der Brief verschickt und woher kam er?«
»Vor ungefähr
zehn Jahren und er kam aus Rüdesheim am Rhein, aus der Benediktinerabtei St. Hildegard.«
»Benediktinerabtei
St. Hildegard?«
»Dort wirken
die Nachfolgeschwestern der Hildegard von Bingen!«
»Und lebt
diese Nonne denn noch?«
»Weiß ich
noch nicht, ich werde mich heute darum kümmern.«
»Klingt
alles ziemlich an den Haaren herbeigezogen. Trotzdem, einen Versuch ist das wert.«
»Ich möchte
noch etwas zu dem fehlenden Alibi von Kilian Martens sagen«, fährt Swensen unbeirrt
fort. »Er sagte uns, er wäre während der Tatzeit mit seinem Auto auf dem Weg zu
seinem Hotel in Flensburg gewesen. Es gibt aber keine Zeugen, wann er dort angekommen
ist. Dazu haben wir erfahren, dass zwischen Eschenberg, Martens und Freja Sjøqvist
eine Art
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