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Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)

Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)

Titel: Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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Swensen.
Mit der prickelnden Neugier des Zuschauers verfolgen wir täglich in Kriminalfilmen
und Nachrichten, was Täter alles anrichten. Wir können gar nicht genug davon bekommen.
In solch ein Schema von steter Sensation passt wahrscheinlich auch ein wildgewordener
Künstler, der säuft, seine Frauen schlägt und Freunde quält. Der Schlusspunkt Tat
scheint für viele wesentlich interessanter, als ein Trauma, das dem Menschen als
Kind zugefügt wurde. Mit Schauder starren wir gebannt auf die Wirkung und ignorieren
jahrzehntelang die Ursache.
    »Krieg und
Frieden entstehen im Herzen von jedem einzelnen von uns. Wenn niemand ernsthaft
anfängt, etwas Harmonie zu schaffen, wird niemals der Samen gelegt werden können,
aus dem der Frieden auf dieser Erde wachsen kann.«
     
    Der Zug bremst kaum spürbar ab,
kommt langsam zum Stehen. Türen klappen, und die Hoffnung Swensens, während der
Zugfahrt in der Janssen-Biografie ein ganzes Stück voranzukommen, scheint sich vorerst
im Nichts aufzulösen. Eine Reisegruppe ist zugestiegen, ein Strom von Rollkoffern
rattert durch das Großraumabteil. Die Besitzer suchen geräuschvoll nach den reservierten
Plätzen. Eine junge Mutter mit Kleinkind nimmt gegenüber vom Hauptkommissar Platz.
Trotz der jähen Unruhe versucht der Hauptkommissar weiterhin tapfer, in seinem Text
zu bleiben, selbst als das Seniorenpaar auf den Fensterplätzen selbstgemixte Apfelschorle
in Halbliterfläschchen auf den Tisch stellt und sein camembertbelegtes Baguette
mit einem Silbermesser exakt mittig schneidet. Die Frau vom Platz gegenüber geht,
den Säugling im Arm, wie aufgezogen im Gang auf und ab und summt in einer Endlosschleife
den Refrain von ›Heal the world‹. Nachdem Swensen den letzten Abschnitt dreimal
gelesen und den Inhalt immer noch nicht verstanden hat, fällt er den Entschluss,
zur gegebenen Zeit weiterzulesen. 
    »Meine Damen
und Herren, wenn Sie Lust auf einen kleinen Snack haben oder einfach etwas trinken
möchten, freuen wir uns auf Ihren Besuch in unserem Bordtreff!«, tönt es aus dem
Lautsprecher.
    Der Kriminalist
lässt sich nicht lange bitten, dieses Angebot anzunehmen. Und seine Entscheidung
stellt sich als richtig heraus, denn er bekommt ohne Mühe einen einsamen Fensterplatz,
und der doppelte Espresso und der Kuchen werden schon wenig später serviert. Sein
Blick starrt unbeweglich in die vorbeirasende Landschaft, nicht einmal eine Minute
lang, dann kapituliert sein Auge, einzelne Eindrücke zu erfassen, fliegt in der
entfesselten Bewegung dahin und öffnet einen weiten Raum für Gedanken, Spekulationen
und Überlegungen im Mordfall Oleander Eschenberg.
     
    Silvia Haman setzt ihn mit dem Dienstwagen
vor dem Reetdachhaus in Witzwort ab. Er greift seine Reisetasche aus dem Kofferraum,
grüßt zum Abschied mit der erhobenen Hand und marschiert mit langen Schritten den
Fliesenweg zur Eingangstür hinauf. Ein Blick auf die Armbanduhr, es ist kurz vor
22 Uhr. Bevor er die Tür aufschließt, bemerkt er das dunkle Wohnzimmerfenster.
    Als er Anna
gestern mitteilen wollte, dass er heute wieder aus Dänemark zurück sein würde, war
nur der Anrufbeantworter angesprungen. Unwillig hatte er seine Nachricht hinterlassen.
Jetzt beschleicht ihn die Ahnung, sie könne gar nicht zuhause sein. In der Küche
findet die Befürchtung ihre Bestätigung, ein Zettel von Anna, auf dem sie ankündigt,
dass sie am Donnerstag für vier Tage zu ihrer Freundin fährt. Und heute ist dummerweise
Donnerstag.
    Swensen
stopft die schmutzige Wäsche in die Waschmaschine und stellt sie an. Das einlaufende
Wassergeräusch im Ohr schleicht er ins Bad. 15 Minuten später liegt er im Bett,
wühlt sich müde in das Kissen und wacht am nächsten Morgen – wie fast immer – kurz
vor sechs Uhr auf. Als er nach dem Duschen, Anziehen und Frühstücken in seinen Wagen
steigt, bricht aus den dichten Wolken die Sonne hervor. Die Strecke zur Arbeit ist
mittlerweile zur Routine geworden, auch wenn er sie – wie heute – lange nicht gefahren
ist. Hat er erst die Gerade durch den Finkhaushalligkoog hinter sich, sind die Getreidesilos
am Husumer Hafen nicht mehr weit. Der Koog ist ein nationalsozialistisches Erbe,
weiß Swensen, er ist 34/35 im Rahmen der Blut-und-Boden-Ideologie eingedeicht worden.
    Die Ideologie
in den Köpfen der Elterngeneration scheint mein Erbe zu sein. Er hat mit einem Mal
den Eindruck, dass er irgendwie übersensibilisiert ist, seitdem die Ermittlungen
so häufig in Vergangenes führen. Noch nie

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