Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)
dicken Bunkermauern. Es ist die unendliche Langeweile. Kein Wunder, dass mancher
der Kameraden immer mal wieder durchdreht. Bunkerkoller oder Dünenkoller wird es
in der Truppe spöttisch genannt. Vor drei Tagen ist diese Langeweile in den Mannschaftsräumen
eskaliert, und die gesamte Bunkerbesatzung hat sich eine aberwitzige Keilerei geliefert.
Ein Soldat war ausgeflippt, weil das Schnarchen eines Kameraden auf der Nachbarpritsche
ihn geweckt hatte. Er griff nach der Kaffeekanne und schlug damit auf den Kopf des
Schnarchenden ein, bis der blutete. Er konnte die Soldaten nur mit Mühe auseinanderbringen.
»In Deutschland
reden alle von der Schlagsahnefront, wenn man erzählt, dass man in Dänemark stationiert
ist«, hat ihm gestern gerade Hauptmann Röndich erzählt. Der war gerade aus dem Heimaturlaub
in Husum zurückgekommen. Langeweile hat nichts mit Schlagsahne zu tun. Immer mehr
Kameraden werden trübsinnig, wollen die Batterie verlassen und melden sich freiwillig
zur Ostfront.
Oberleutnant
Kreuzhausen hat dafür kein Verständnis. Wir haben es gut hier, was wollen wir mehr?
Der Wehrsold wird in dänischen Kronen ausgezahlt, und hier in Dänemark kann man
alle Lebensmittel einkaufen, die das Herz begehrt: Butter, Eier, Zucker, Speck,
Weißbrot. Hier gibt es keinerlei Beschränkungen, keine Lebensmittelkarten.
Gute Ernährung
ist aber noch lange keine Schlagsahnefront, denkt der Oberleutnant erbost. Ich glaube
kaum, dass irgendjemand in Deutschland weiß, was hier wirklich los ist. Die Dänen
sind nicht gerade freundlich, wenn sie uns Deutsche sehen.
Gerade vor
einer Woche war er mit Leutnant Dunser in seiner Freizeit in Thisted gewesen. Einer
der Kuriere hatte sie im Kübelwagen mitgenommen und auch wieder zurückgebracht.
Die Anweisung des Kommandanten: Die Batterie Schill darf nur zu zweit verlassen
werden, Stahlhelm am Koppel und geschultertes Gewehr ist Pflicht.
Im Café
direkt am Marktplatz hatten sie fast eine halbe Stunde gesessen, ohne dass jemand
kam, um sie zu bedienen. Das Fräulein mit der weißen Schürze stand im Türrahmen
der Küche und guckte demonstrativ an ihnen vorbei. Im Knopfloch ihrer Bluse hingen
vier dieser Lochmünzen an einem rotweißen Band. Rotweiß ist die Farbe der dänischen
Flagge. Sie wussten natürlich, dass die Münzen ein Protest gegen die deutschen Besatzer
sind. Das Geld hat einen Wert von neun Öre, symbolisch für den 9. April, an dem
die Wehrmacht in Dänemark einmarschiert war.
Unter ihrem
verachtenden Blick hatten sie das Feld geräumt. Kaum waren sie auf die Straße getreten,
flammte ein greller Explosionsblitz auf, keine 50 Meter von ihnen entfernt. Große
Trümmerteile flogen ihnen um die Ohren, und sie hatten sich auf den Bauch geworfen.
In kürzester Zeit waren Straßenkreuzungen und der Hafen mit Kettenfahrzeugen und
leichten Geschützen besetzt.
Dänische
Widerstandskämpfer hatten die deutsche Kommandantur in die Luft gesprengt, erfuhren
sie, als sie zurück auf der Basis waren. Eine Alarmstufe wurde ausgerufen, die Posten
doppelt besetzt, mehr Wachdienst befohlen, und es vergingen zwei Monate, bevor die
altbewährte Langeweile erneut Einzug in der Batterie halten konnte.
In der Nacht feiert die Erinnerung
Triumphe, alle möglichen Wahnbilder, und kein Wille kann das verhindern, denkt Oberleutnant
Kreuzhausen und macht dafür ebenfalls die Langeweile verantwortlich. Gerade ist
er vom letzten Kontrollgang in dieser Nacht aus dem Gelände in den Raum des Wachhabenden
zurückgekehrt. Wie erwartet gab es überall nur dieselbe Meldung: Keine besonderen
Vorkommnisse, Herr Oberleutnant.
Rosarote
Wolkenfetzen stehen am dunklen Himmel, künden den Sonnenaufgang an. Heinrich Kreuzhausen
schlendert nach der Ablösung durch die Dünenlandschaft zur Marinehalle hinüber,
um sich noch einen Schlaftrunk in der Bierstube zu genehmigen. Der große Ziegelbau
ist im Frühjahr 42 auf Bestreben des Kommandanten für kulturelle und sportliche
Aktivitäten errichtet worden. Er besitzt einen großen Bühnenraum mit über 1.000
Sitzplätzen, in dem auch Kinovorführungen stattfinden können. Die Wände der Deutschen
Bierstube sind mit Holzschnitzereien dekoriert, und auf die Deckenbalken sind heimatliche
Sprichwörter gemalt:
Im Kampf
tut Wut so gut wie Mut
Kameradschaft
ist stärker als der Tod
Die Hälfte
seines Lebens wartet der Soldat vergebens
»Kreuzhausen!
Gut, dass ich Sie treffe«, ruft eine tiefe Stimme von einem Ecktisch herüber. Hauptmann
Röndich sitzt
Weitere Kostenlose Bücher